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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 15:167–176.

JERZY WYROZUMSKI

Polen und Ungarn um das Jahr 1000

 

Zwei ganz verschiedene ethnische Gruppen: die Slawen, die in den Flussgebieten der Weichsel und der Oder saßen, und die finnisch-ugrischen Magyaren, die aus den entfernten östlichen Gebieten, Ende des 9. und Anfang des 10. Jahrhunderts, in Pannonien eingewandert waren, erfuhren das ähnliche Schicksal auf dem Wege zur Gründung ihrer Monarchien. Die halbnomadischen Magyaren fielen – nach ihrem Ankommen in das Donaugebiet – die westeuropäischen Staaten, mit Deutschland an der Spitze an. Zweimal wurden sie von den deutschen Königen besiegt: zum ersten Mal von Heinrich I. bei Merseburg und zum zweiten Mal von Otto I. auf dem Lechfeld. Nach der letzten Niederlage fingen sie mit einem neuen, und zwar eingesessenen Leben an. Ihr Fürst, ein Nachkomme Árpáds – Géza, erlaubte offiziell das Land zu christianisieren.

Die slawischen Einwohner der Weichsel- und Oderflussgebiete überwanden in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts die primitive Stammesorganisation. Fast in derselben Zeit sind zwei relativ bedeutende Stammesverbände, und zwar der Staat der Polanen im Warthe- und der Wislanenstaat im Oberweichselgebiet, entstanden. Vielleicht gab es auch die anderen, aber davon fehlen historische Angaben. Die einzige Quelle, die uns über den Polanenstaat informiert, ist die am Anfang des 12. Jahrhunderts entstandene anonyme Chronik des sog. Gallus.1 Sie widerspiegelt die Hoftradition der Piasten und sie ist dadurch glaubwürdig. Der Verfasser trennt die Legende von der Wahrheit ab. Als wahrhaftes Element zählt er die Vorfahren Mieszkos I., des Gründers des Piastenstaates, auf. Das waren folgende: der halblegendäre Stammvater Piast, sein Sohn Siemowit und in den folgenden Generationen Leszek, Siemomys, Mieszko I. Der Name Polanen taucht nur in den frühen deutschen Quellen auf: in der Brunos von Querfurt Sancti Adalberti Vita alteraPolani2 und in den Annales HildesheimensesPoliani.3 Der Wislanenstaat wird von drei fremden Quellen bezeugt, nämlich dem sog. Bayerischen Geograph, Mitte des 9. Jahrhunderts, wo unter den Stämmen nördlich von Karpaten sich die Wislanen befinden;4 von der Germania des englischen Königs Alfred, Ende des 9. Jahrhunderts, wo man Wisle lond erwähnt;5 und endlich von der sog. Pannonischen Legende (Vita sti Methodii), Ende des 9., Anfang des 10. Jahrhunderts, wo ein Fürst an der Weichsel auftaucht.6

Die großen Organisatoren des ungarischen Arpadenstaates wurden der erwähnte Fürst, Géza und sein Sohn Vajk, getauft auf den Namen Stephan (997–1038). Parallel zu Organisatoren des polnischen Piastenstaates gehörten der 992 gestorbene Mieszko I. und sein Sohn Boleslaw der Tapfere, Bolesław Chrobry (992–1025). Géza hat nicht nur sein Land für die Christianisierung geöffnet, sondern kämpfte auch während seiner Herrschaft mit den magyarischen Stammeshäuptlingen.

Mieszko I. baute stufenweise die territorialen Grundlagen seines Staates. Der Kern dieses war natürlich das Polanengebiet mit den Hauptsitzen in Posen und Gnesen. In näher unbekannten Umständen dehnte Mieszko seine Macht über Kujawien und Masowien aus. Nach dem Bericht von Ibrahim ibn Jacob aus dem Jahre 965/966 besaß Mieszko damals diese beiden Provinzen.7 In den 60er Jahren begann er seine Expansion in nordwestliche Richtung. In Pommern ist er der Expansion der deutschen Territorialherren begegnet. 990, bei dem Krieg mit Böhmen, besetzte er Schlesien und hat höchstwahrscheinlich seinem Staat Kleinpolen, das bis dann zu Böhmen gehörte, einverleibt. Am Ende seines Lebens übergab Mieszko I. mit seiner Ehefrau Ode, Tochter des Markgrafen von der Nordmark Ditrik, und mit seinen Söhnen aus der Ehe mit Ode – Lambert und Mieszko, den „Gnesener Staat” unter die Protektion des Heiligen Stuhls. Es handelte sich um den sog. Akt Dagome iudex.8 In diesem liest man nicht über Bolesław den Tapferen, den Sohn aus der ersten Ehe Mieszkos, und zwar mit Dobrawa, Tochter des tschechischen Fürsten Boleslaw. Es kann vermutet werden, dass durch den erwähnten Akt Mieszko Boleslaw den Tapferen aus der Thronfolge, zugunsten der Söhne aus der zweiten Ehe, ausschließen wollte. Es ist bekannt, dass nach Mieszkos I. Tode Bolesław der Tapfere seine Stiefmutter und seine Halbbrüder aus Polen vertrieben hat und so gewann er die gleiche Macht, die sein Vater gehabt hatte. Auf diese Weise hat Bolesław seine Herrschaft in dem Piastenstaat in dem Schatten des potentiellen Streites mit Deutschland begonnen zu regieren. Glücklich vermied er den offenen Konflikt und es ist ihm gelungen, eine freundliche Politik seines Vaters dem Kaisertum gegenüber zu führen. Man soll in Erinnerung bringen, dass Mieszko I. bei dem zeitgenössischen sächsischen Chronisten als Freund des Kaisers (amicus imperatoris)9 und ein paar Jahrzehnte später vom Merseburger Bischof Thietmar als dem Kaiser getreu (imperatori fidelis)10 bezeichnet wurde.

Die politische Lage Stephans I. in Bezug auf das Kaisertum war desto leichter, da Stephan noch zu seines Vaters Lebenszeit, die bayerische Prinzessin Gisela, Tochter Heinrichs von Bayern, Kusine Ottos III. verheiratet hat.

Der Christianisierungsverlauf beider Staaten war anfangs geschieden. In Ungarn – wie schon oben erwähnt wurde – betraf er das ganze Territorium, das sich unter der Herrschaft Gézas befand. Mieszko I., als er 966 die Taufe angenommen hatte, besaß nur ungefähr die Hälfte des späteren Piastenstaates. Die zweite Hälfte, das heißt Schlesien und Kleinpolen, die damals dem Fürstentum Böhmen angehörten, wurde wahrscheinlich, mit Böhmen zusammen, seit 930 christianisiert. Als Böhmen den deutschen Königen untergeordnet war, sollte der Anschluss beider Provinzen an den Polanenstaat, vermutlich um 990, zum Grund eines Konfliktes zwischen dem polnischen Fürsten und dem deutschen König dienen. Bei dieser Gelegenheit aber konnte doch Mieszko I. den Streit vermeiden.

In den beiden Staaten, das heißt in Polen und in Ungarn, hat der Prager Bischof Sankt Adalbert eine bedeutende Rolle gespielt. Der späteren ungarischen Tradition nach habe er sich schon in den 70er Jahren in Ungarn begeben. Und zwar, hat man diesem die Taufe und die Erziehung des Gézas Sohn Stephan zugeschrieben. In der Tat, hat er Ungarn nicht früher als Ende 993, eher 994/995, besucht und Stephan nicht getauft, sondern wahrscheinlich konfirmiert.11 Außer der Tätigkeit in dem Piastenstaat, unternahm er – mit seinem Bruder Radzim-Gaudentius und einem Mönch Benedictus – die bekannte Mission in Preussen, die von Boleslaw dem Tapferen ermöglicht und unterstützt wurde.12 Sein Tod und dann seine Kanonisierung sind vom polnischen Fürsten gut ausgenutzt worden.

Von großer Bedeutung war für beide Staaten das Jahr 1000. Es kulminierten zu dieser Zeit die Versuche Stephans I. und Boleslaw des Tapferen um eigene Kirchenprovinzen zu gründen und die königlichen Kronen zu bekommen. Diese Aspirationen haben sich mit der günstigen Politik Ottos III. in Richtung der östlichen Nachbarn Deutschlands getroffen. Das kaiserliche Programm der renovatio imperii Romani wurde von dem Papst Silvester II. (Gerbert d’Aurillac), der vor seiner Erhebung auf dem Heiligen Stuhl (999) Ottos Erzieher und Freund war, unterstützt. Das Programm sollte zur Schaffung eines universellen christlichen Kaisertums führen. Vielleicht handelte es sich um eine Idee des Papstes und der zeitgenössischen Intellektuellen, die die Politik des jungen Kaisers beeinflusst haben. Zwei Miniaturen scheinen uns dieses Programm in seiner östlichen Hinsicht zu widerspiegeln. Ich stelle die beiden vor.

Eine davon gehört zum um das Jahr 998 verfassten Evangeliar Ottos III. Sie setzt sich aus zwei Bildern zusammen, die sich auf zwei anliegenden Seiten der Handschrift befinden. Das Bild rechts stellt den Kaiser im majestätischen Ornat vor; diesen begleiten zwei geistliche und zwei weltliche Personen (Würdenträger). Auf dem Bild links sieht man vier gekrönte Gestalten in einer leichten Beugung zum zweiten Bild, das heißt zum Kaiser. In zwei Handschriften gibt es zwei Varianten dieser Miniaturen. Und zwar sind in dem sog. Münchener Codex über den Gestalten folgende Aufschriften zu lesen: Roma, Galia, Germania, Sclavinia.13 In dem Bamberger Codex dieses Evangeliars sind die Gestalten nicht so gebeugt und über ihren Köpfe fehlen die Aufschriften.14 Der ideologische Ausdruck dieser Miniatur im Münchener Codex ist leicht zu erklären: das universelle Kaisertum Ottos III. sollte nicht nur das karolingische Erbe, sondern auch die Slawen umfassen.

Die zweite Miniatur, die man in einem anderen Evangeliar Ottos III., und zwar im sog. Liuthars Aachener Codex findet, enthält ein anderes ideologisches Programm.15 Zum ersten muss man darauf hinweisen, dass die Miniatur verschiedenartig datiert wurde. Unter anderen schrieb man sie der Herrschaft Ottos II. zu. Johannes Fried hat in einem seiner 1989 publizierten Artikel über Otto III.16 bewiesen, dass diese Miniatur in Zusammenhang mit jener Ottos III. renovatio imperii Romani gestellt werden muss. Es wäre schwierig ein anderes Moment zu finden, dem die Miniaturszene besser, als ungefähr dem Jahre 1000, entspräche. Sie stellt das Folgende vor: An den beiden Seiten des Kaisers, der im majestätischen Ornat sitzt, sieht man zwei gekrönte Herrscher mit Wimpeln stehen. Beide sind leicht in Richtung der Kaisergestalt gebeugt; die Hand der Vorsehung reicht zum Kaiserkopf. Im oberen Teil des Bildes sieht man die Zeichen der Evangelisten. Zwischen zwei von ihnen dehnt sich über den Kaiser das Schutzband aus. Im niedrigen Teil gibt es zwei geistliche und zwei weltliche Gestalten, die vielleicht Territorialherren symbolisieren. Nach der höchstwahrscheinlichen Meinung von Johannes Fried müssen die gekrönten Gestalten dem ungarischen Herrscher Stephan I. und dem polnischen Boleslaw dem Tapferen entsprechen.

Wirklich – wie es der zeitgenössische deutsche Chronist Bischof von Merseburg Thietmar bestätigt – hat Stephan I. im Jahre 1001 die königliche Krone erworben. Es geschieht von Gnaden und auf Anregung des Kaisers (imperatoris gratia et hortatu) und mit der Benediktion, also mit dem Anteil des Papstes (coronam et benedictionem accepit). Bei dieser Gelegenheit hat Stephan I. die kirchliche Organisation gegründet (episcopales cathedras faciens).17 Der andere fast zeitgenössische Chronist, der 1034 gestorbene Ademarus de Chabannes, Abt eines Klosters bei Angoulême, gibt in seiner Chronik der Aquitanien an, unter einigen unpräzisen Nachrichten über die Taufe Stephans I.: Kaiser Otto habe diesem bewilligt das Königtum zu haben (regnum ei liberrime habere permisit) und die heilige Lanze zu benutzen (dans ei licentiam ferre lanceam sacram ubique), das heißt diese mit dem Nagel vom Heiligen Kreuz, die vom Kaiser gewohnheitsmässig benutzt wurde (sicut ipsi imperatori mos est) und den Namen des heiligen Mauritius hatte (et reliquias ex clavis Domini et lancea sancti Mauritii ei concessit in propria lancea).18

Die angeführten Informationen der zeitgenössischen ausländischen Quellen sind ganz übereinstimmend mit der späteren eigenen ungarischen Tradition (Ende des 11., Anfang des 12. Jahrhunderts). Es handelt sich um die verschwundene und rekonstruierte Gesta Hungarorum, um die Legenda maior und Legenda minor des Hl. Stephans und um die sog. Legenda Hartwigi. Ich führe nur den klaren Satz aus, der um 1083 verfassten Legenda maior an: „dilectus deo Stephanus rex appellatur et unctione crismali perunctus diademate regalis dignitatis feliciter coronatur, post acceptum imperialis excellentie signum (...).”19 Aufgrund dieses auf das Jahr 1000 datierten Textes kann angenommen werden, dass zuerst Stephan vom Kaiser Otto III. die Kopie der heiligen Lanze (imperiale signum) bekommen habe und dann gekrönt wurde. Schon früher schrieb der Verfasser der Legende, dass sich Stephan um die Krone bei dem Heiligen Stuhl bemühte.20

Die Rolle der Lanze als insignis von Stephans Monarchie bestätigt die Münze wahrscheinlich dieses Herrschers mit der Inschrift Lancea regia und mit der Vorstellung einer Hand mit der Lanze.21 Das bestätigt auch der 1031 von Stephan I. gestiftete und von seiner Gemahlin Gisela für die Krönungskirche in Alba Regia geschenkte Krönungsmantel. An diesem Mantel befindet sich unter den anderen Gestalten der König mit den Herrschaftsinsignien, das heißt mit dem Reichsapfel in einer Hand und mit der Lanze in der anderen. Dieses letzte insignum ist im Jahre 1044 verloren gegangen, als der König Samuel Aba von Kaiser Heinrich III. in der Schlacht bei Ménfõ besiegt wurde und die erbeuteten lanceam coronamque hat man nach Rom gesandt.22

In der Geschichte Polens war das Jahr 1000 ausdrücklich durch den Besuch Ottos III. in Gnesen am Grabe des Hl. Adalberts bezeichnet. Es gibt drei bedeutende Quellen, die sich auf dieses sowohl in der deutschen als auch in der polnischen Geschichte außerordentlich wichtige Ereignis beziehen. An erster Stelle muss man die zeitgenössische Chronik von Thietmar in Betracht ziehen. Der Verfasser informiert nämlich über den Besuch Ottos III. in Gnesen sehr sparsam und mit deutlicher Abneigung zu Boleslaw dem Tapferen. Er hat sich bei dieser Gelegenheit auf die Gründung des Erzbistums in Gnesen konzentriert. Dies sollte, seiner Meinung nach, rechtmäßig verwirklicht werden (ut spero legitime), aber ohne die Bewilligung des Bischofs von Posen, Unger, dem das ganze Land (omnis hec regio) unterstellt werde. Zum Erzbischof wurde der Bruder des heiligen Adalberts Radzim ernannt und ihm wurden die Bischöfe: Poppon von Krakau, Jan von Breslau und Reinbern von Kolberg, unterordnet. Der Kaiser erhielt von Boleslaw dem Tapferen dreihundert bewaffnete Krieger. Etwas wichtiges wurde vom Chronist verschwiegen und nur mit Erbitterung kommentiert: „Gott, entschuldige den Kaiser, dass er aus einem Tributär einen Herrn gemacht hat und ihn so hoch gehoben” (Deus indulgeat imperatori, quod tributarium faciens dominum ad hoc umquam elevavit).23

An der zweiten Stelle soll hier die älteste in Polen entstandene Chronik eines anonymen Ankömmlings aus dem romanischen Kulturkreise, des sog. Gallus, erwähnt werden. Die Chronik wurde um das Jahr 1113 verfasst, also mehr als 100 Jahre nach dem besagten Ereignis. Der Chronist ist jedoch ein guter Informator; er wiedergibt die Hoftradition der Piasten, und – was das wichtigste ist – er hat ein verschwundenes Werk, das Liber de passione martyris [Adalberti] benutzt und darauf deutlich berufen. Aufgrund der Erzählung des Chronisten wollte Otto III. nicht nur das Grab des Hl. Adalberts besuchen, sondern auch den Ruhm Boleslaw des Tapferen kennenlernen. Dieser habe seinen Gast mit gehöriger Ehre und einer außerordentlichen Pracht empfangen.

Das alles beschrieb der Verfasser mit einer Übertreibung. Der Reichtum des Gastgebers habe den Kaiser überrascht und zugleich eine Bewunderung bei ihm hervorgerufen. Er erklärte öffentlich (coram omnibus), dass non est dignum tantum ac virum talem sicut unum de principibus ducem aut comitem nominari. Er solle mit einem Diadem gekrönt und zur Königswürde erhoben werden (sed in regale solium glorianter redimitum diademate sublimari). Er habe die Kaiserkrone von seinem Kopf genommen und setzte sie auf Boleslaws Kopf. Und das habe er, um die Freundschaft (in amicicie fedus) getan. Als Boleslaw vom Kaiser den triumphalen Wimpel, den Nagel vom Kreuz Christi mit der Lanze des Hl. Mauritius als Geschenk bekommen hat, schenkte er dem Kaiser als eine Gegenleistung den Arm des Hl. Adalberts, das heißt eine unschätzbare Reliquie. Otto III. machte Boleslaw zum „Bruder und Mitarbeiter des Kaisertums” (eum fratrem et cooperatorem imperii constituit) und bezeichnete ihn als „Freund und Verbündeter des römischen Volkes” (populi Romani amicum et socium appellavit). Der Chronist spricht kein Wort von der Gründung des Erzbistums in Gnesen, aber ermittelt, dass der Kaiser seinem Gastgeber und seinen Nachfolgern die ganze kaiserliche Macht im Bereich der kirchlichen Angelegenheiten , sowie im ganzen aktuellen und künftigen Territorium seines Staates (quidquid ad imperium pertinebat) übergeben hat. Dies sollte der Papst Silvester II. bestätigen. Aber es gibt keine andere Spur davon. Weiterhin meint der Verfasser, dass Boleslaw auf solche Weise vom Kaiser zur königlichen Würde erhoben wurde (in regnum ab imperatore tam gloriose sublimatus). Die Beschreibung des Festes und der Geschenke schließt diesen Bericht.24

Aufgrund dieser, einigermaßen ausgesprochen polnischen Fassung über das Gnesener Ereignis im Jahre 1000 soll man an dritter Stelle die Hildesheimer Annalen erwähnen. Es handelt sich um eine Kompilation, die etwa 1065 verfasst wurde, die jedoch eine ältere Tradition wiedergibt. Als der Annalist aus seiner Zeitperspektive wusste, dass sich der Leib des Hl. Adalberts in Prag befand, hat er Ottos III. Besuch mit dem böhmischen Fürsten Boleslaw und mit Prag in Verbindung gebracht. Ein höchst wahrscheinliches Element dieser grundsätzlich falschen Tradition besteht darin, dass der Verfasser von einer Synode im Zusammenhang mit dem Besuch Ottos III. in Gnesen spricht.25

Hier soll man bemerken, dass der Akt von Gnesen 1000 schon früher auf dem diplomatischen Wege vorbereitet wurde; das beweist einerseits die in Italien am 2. Dezember 999 ausgestellte Urkunde, wo Gaudentius archiepiscopus S. Adalberti martyris26 erwähnt ist, andererseits die dem polnischen Fürsten vom Kaiser geschenkte Kopie der Hl. Mauritiuslanze; sie musste schon früher in Italien oder in Deutschland angefertigt worden sein.

Die Anlegung der kaiserlichen Krone auf den Kopf Boleslaws und die ihm, sowie dem ungarischen Fürsten vom Kaiser geschenkte Kopie der Hl. Mauritiuslanze, sollen kommentiert werden. Das erste Ereignis bedeutet natürlich nicht, dass eine wirkliche königliche Krönung stattgefunden hat. Sie gehört zur byzantinischen Symbolik und weist darauf hin, dass Boleslaw ein politischer Verbündeter des Kaisers geworden ist.27 Das zweite Ereignis musste auch die ähnliche Bedeutung haben, aber in der neuen westeuropäischen Realität. Welche Rolle spielte also die Lanze im Kaisertum?

Die Lanze des Hl. Mauritius, „die heilige Lanze des Kaisertums” gehörte den kaiserlichen Insignien an. Nach ihrer langen Tradition gab es in ihr eine unschätzbare Reliquie – den Nagel aus dem Heiligen Kreuz. Ursprünglich soll sie dem römischen Legionär Mauritius gehört haben, der zur Zeit des römischen Kaisers Diocletian ermordet und so Märtyrer wurde. Dann war sie mit Konstantin dem Großen und mit dem Königreich der Langobarden assoziiert. Mit der Krönung Karls des Großen zum Langobardenkönig befand sie sich in den Händen der Karolinger. Schließlich bekam sie der deutsche König Heinrich I. von den Burgundern und seither gehörte sie zu Deutschland. Durch die Kaiserkrönung Ottos I. ist sie gewissermaßen zum Symbol des Kaisertums geworden, obwohl sie bei der Krönungszeremonie nicht gebraucht wurde.28 Die Übergabe ihrer Kopien von Otto III. für Boleslaw den Tapferen und Stephan den Großen musste entweder die Aufnahme in das universelle Kaiserreich oder in die „Herrscherfamilie” mit dem Kaiser an der Spitze bedeuten. Bemerkenswert ist, dass insofern die ungarische Kopie zu den verschwundenen Objekten gehört, die polnische bis heute erhalten geblieben ist. Sie wurde vielleicht in dem Inventar der Krakauer Domkirche aus dem Jahre 1110 als vexillum auro paratum spezifiert29 und ganz sicherlich in der sog. Vita maior sancti Stanislai aus der Mitte des 13. Jahrhunderts (Hec autem regalia insignia, corona videlicet, sceptrum et lancea usque in hodiernum diem in armario Cracoviensis ecclesie in memoriam posterorum iacent recondita).30 Heute befindet sie sich in der Schatzkammer der Krakauer Domkirche.31

Aus dem oben Besprochenen ist es klar, dass sich die politische Lage Ungarns und Polens um das Jahr 1000 auf ähnliche Weise gestaltete. Die beiden Staaten standen im Bereich ähnlicher politisch-ideologischer Einflüsse Ottos III. Die beiden Länder erreichten die tatsächliche Anerkennung ihrer territorialen Substanz von dem Kaiser, einschließend das Recht zur Verbreitung ihrer Territorien. Die beiden Herrscher wurden an das Bündnis mit dem Kaisertum angeschlossen. Stephan I. und Boleslaw der Tapfere sind in die kaiserliche „Herrscherfamilie” eingetreten und haben höchstwahrscheinlich die Bewilligung für die Königskrönung bekommen. Eine wirkliche Erhebung Boleslaw des Tapferen in Gnesen zum König von dem Kaiser, wie es einige Autoren annehmen,32 muss man ausschließen.33 Wenn es um die Souveränität beider Staaten im Lichte der kaiserlichen Ideologie geht, kann man vermuten, dass ihre Monarchen eine voll souveräne äußere Stellung beibehalten sollten. Das Ergebnis der vom Papst Silvester II. unterstützten Politik und Ideologie Ottos III. war die Errichtung der selbständigen polnischen und ungarischen Erzbistümer. Boleslaw der Tapfere hat früher das Erzbistum (1000) und später die königliche Krone (1025) erworben, Ungarn umgekehrt (1008, 1001).

Bemerkenswert ist noch die umherirrende Tradition der sog. Ungarisch-polnischen Chronik aus dem 13. Jahrhundert, dass die vom Heiligen Stuhl für Polen vorbereitete Krone, bei einer für dieses Land ungünstigen Gelegenheit, auf den ungarischen Fürsten übertragen worden sei.34 Auf solche Weise hat schon die alte Tradition die frühen politischen Schicksale beider Staaten in gegenseitige Verbindung gesetzt.

 

Anmerkungen

 

Abkürzungen

MGH SS = Monumenta Germaniae Historica. Scriptores

MPH = Monumenta Poloniae Historica

MPH ns. = Monumenta Poloniae Historica. Nova series

SRH = Scriptores Rerum Hungaricarum

 

1

Galli Anonymi Cronica et gesta ducum sive principum Polonorum, Tom II, Kraków 1952, lib. I, § 2–4. (im Folgenden: MPH ns.)

2

S. Adalberti Pragensis episcopi et martyris vita altera auctore Brunone Querfurtensi, Tom IV/2, Warszawa 1969, S. 8., 32., 35. (MPH ns.)

3

A. BIELOWSKI (Hrsg.), Tom II, Lwów 1872, S. 763., 766–767. (MPH)

4

A. BIELOWSKI (Hrsg.), Tom I, Lwów 1864, S. 10–11. (MPH)

5

A. BIELOWSKI (wie oben Anm. 4.), S. 13.

6

A. BIELOWSKI (wie oben Anm. 4.), S. 107.

7

Relatio Ibrahim ibn Jakub de itinere Slavico, quae traditur apud Al-Bekri, Tom I, Kraków 1946, S. 147. (MPH ns.)

8

A. BIELOWSKI (wie oben Anm. 4.), S. 148–149.

9

A. BIELOWSKI (wie oben Anm. 4.), S. 141.

10

Kronika Thietmara, vorbereitet von M. Z. JEDLICKI, Poznañ 1953, lib. II, cap. 29. (19.)

11

Unter den neuesten polnischen Publikationen vgl. R. GRZESIK, Kronika wègiersko-polska, Poznań 1999, S. 114–116., 118–119., 181.; Gerard LABUDA, ¿wièty Wojciech biskup–mèczennik patron Polski, Czech i Wègier, Wrocław 2000, S. 138–141.

12

Die zeitgenössische Überlieferung über die beiden im Leben gebliebenen Missionsteilnehmer sind in der Vita prior und in der Vita altera des hl. Adalberts zu finden. S. darüber: MPH, ns.,Tom IV/1–2., Warszawa 1962–1969.

13

Bayerische Staatsbibliothek, München. Cod. Monac. lat. 4453. Facsimile in Gnesener Erzbistums-Archiv. Die farbige Reproduktion bei J. STRELCZYK, Otton III, Wrocław–Warszawa–Kraków 2000.

14

Cod. Bamb. Class. 79.

15

Aachener Domschatz, Liuthars Evangeliar. Die farbige Reproduktion bei Johannes FRIED, Otto III. und Bolesław Chrobry. Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars. Der Akt von Gnesen und das Frühe polnische und ungarische Königtum, Stuttgart 1989. (Polnische Übersetzung: Warszawa 2000), Abb. 1–3a.

16

S. oben die Anmerkung 15.

17

Kronika Thietmara, op. cit., lib. IV, cap. 59. (38.).

18

Georg WAITZ (Hrsg.), Ademari Historiarum libri III, Band IV, Hannoverae 1841, S. 130. (MGH SS)

19

Emma BARTONIEK (Hrsg.), Vita sancti Stephani regis, legenda maior, Bd. II, Budapest 1938, S. 384. (SRH)

20

E. BARTONIEK (wie oben Anm. 19.), S. 383.

21

A magyar pénzverés története [Geschichte der ungarischen Münzprägung), Budapest 1977, (Tabl. I-1.)

22

György GYÖRFFY (Hrsg.), Diplomata Hungariae antiquissima, Vol. I, Budapest 1992, (Nr. 68.)

23

Kronika Thietmara (wie oben Anm. 10.), lib. IV. cap. 45. und 46.; lib. V. cap. 10.

24

MPH ns., lib. I, cap. 6.

25

A. BIELOWSKI (wie oben Anm. 3.), Tom II, S. 762.

26

W. ABRAHAM, Organizacja Kościoła w Polsce do połowy wieku XII, Poznań 1962, S. 126, Anm. 57. Abraham zitiert hier Johannes MABILLON, Annales Ordinis S. Benedicti [...], Tomus IV, Lucae 1739, S. 119–121: Gaudentius archiepiscopus S. Adalberti martyris interfui et suscripsi.

27

Vgl. T. WASILEWSKI, Bizantyńska symbolika zjazdu gnieźnieńskiego i jej prawno-polityczna wymowa, in: Przegląd Historyczny, 57 (1966), zeszyt. 1, S. 1–12.

28

H. W. KLEWITZ, Die heilige Lanze Heinrichs I., in seinem Band: Ausgewählte Aufsätze zur Kirchen- und Geistesgeschichte des Mittelalters, Aalen 1971, S. 71–87.

29

A. BIELOWSKI (wie oben Anm. 4.), Tom I, S. 377.

30

W. KÈTRZYŃSKI (Hrsg.), Tom IV, Lwów 1884, S. 365. (MPH)

31

M. ROKOSZ, Wawelska włócznia Bolesława Chrobrego. Przegląd problematyki, in: Rocznik Krakowski, 55 (1989), S. 17–44.

32

In der neuesten deutschen Literatur J. FRIED (wie oben Anm.15.); in der polnischen J. MULARCZYK, Tradycja koronacji królewskich Bolesława I Chrobrego i Mieszka II, Wrocław 1998.

33

S. z. B.: J. STRELCZYK, Bolesław Chrobry, Poznań 1999, S. 53–62., 192–198.

34

A. BIELOWSKI (wie oben Anm. 4.), Tom I, S. 500–504.; siehe auch: R. GRZESIK (wie oben Anm.11.), Kap. IV.