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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:215–223.

DEZSŐ SZABÓ

Zur Identitätsfrage in der deutschsprachigen Presse Ungarns in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts

 

Die deutschsprachige Presse in Ungarn am Anfang des 20. Jahrhunderts

Das Deutschtum hatte in Ungarn traditionell eine wichtige Rolle in der wirtschaftlichen Entwicklung gespielt. So war dies auch nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich der Fall, wobei es hier einerseits um die in Ungarn ansässigen Deutschen, andererseits aber auch um die aus Österreich eingewanderten deutschen Arbeiter geht, die den ungarischen wirtschaftlichen Aufschwung maßgebend bestimmten. An dieser Stelle kann man auch erwähnen, dass sich ein beträchtlicher Teil der Betriebe im Eigentum deutscher oder deutschsprachiger jüdischer Unternehmer befand.1 Im Allgemeinen lässt sich feststellen, dass der Anteil der Deutschen an der Industriearbeiterschaft höher als ihr Anteil an der Landesbevölkerung war. Dementsprechend und als Ergebnis des wirtschaftlichen Aufschwungs wurden zahlreiche deutschsprachige Fachblätter (Handel, Industrie, Druckereigewerbe usw.) herausgegeben,2 und es erschienen die ersten deutschsprachigen Arbeiterzeitungen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm auf der anderen Seite die Zahl der Leser deutschsprachiger Blätter in Ungarn wegen der zunehmenden Assimilation ab.3 Aber auch wenn die traditionelle Facharbeiterschaft ihre einstige Bedeutung und ihre deutsche Prägung verloren hatte, spielte der erfahrene Fachmann, der alle Arbeitsphasen kannte und der meistens deutscher Abstammung war, noch jahrzehntelang eine wichtige Rolle im Betrieb und bei den Entscheidungen, die dort bzw. in den Gewerkschaften getroffen wurden.4 Laut offiziellen Angaben5 gab es übrigens im Jahre 1906 in Ungarn 1787 Presseorgane mit einer Gesamtauflage von 160 Millionen, Budapest besaß 39 Tageszeitungen, mehr als irgendeine andere europäische Hauptstadt. 1937 bestanden jedoch nur noch 74 Tages- und 300 Wochenzeitungen, davon 21 Tages- und 170 Wochenzeitungen in Budapest. Die Zeitungen in der Provinz gehörten fast ausschließlich den Komitaten, hatten meistens lokalen Charakter und deswegen kaum politische Bedeutung. Allgemeingültig war, dass die Blätter eine staatliche Lizenz haben mussten.6 (Später von den im Jahre 1943 insgesamt 28 deutschsprachigen Zeitungen Ungarns waren 6 kirchlich orientiert, die anderen volksdeutsch. Auch diese Zahlen sind aber vorsichtig zu behandeln, denn tatsächlich befindet sich darunter nur eine geringe Zahl solcher Blätter, die wirklich aus der Volksgruppe hervorgegangen sind und von dieser als Leserschaft getragen wurden.7) Die meisten anderen deutschsprachigen Zeitungen stützten sich ebenfalls auf eine deutschsprachige städtische Mittelschicht.

Wir können grob drei Gebiete der deutschsprachigen Presse unterscheiden:

– politische Presseorgane

– wissenschaftliche Zeitschriften

– die Fachorgane der einzelnen Berufsgruppen.

 

Die wichtigsten deutschsprachigen Tageszeitungen:

Pester Lloyd, Ödenburger Zeitung, Preßburger Zeitung, Hermannstädter Zeitung, Temesvarer Zeitung, Günser Zeitung, Westungarisches Volksblatt u.a.

Zeitschriften:

Ungarische Rundschau, Ungarische Jahrbücher, Deutsch-ungarische Heimatblätter (später Neue Heimatblätter, dann Deutsche Forschungen in Ungarn)

 

Charakteristisch war die Tendenz der Spezialisierung sämtlicher Presseprodukte, um somit möglichst ein festes Leserpublikum an das jeweilige Blatt binden zu können. Der gleichen Bestrebung dienten die immer intensiver in Anspruch genommenen neuen technischen Möglichkeiten, sowie die Versuche, die Mitteilungsabsicht mit kulturellen Inhalten zu mischen. Nach dieser allgemeinen Darstellung möchte ich mich mit zwei Zeitungen beschäftigen, mit denen ich die behandelte Epoche charakterisieren möchte. Die erste Zeitung ist ein Beispiel für die Interessenvertretung der deutschsprachigen Arbeiter, während im zweiten Teil das Sprachrohr der ländlichen deutschen Bevölkerung Ungarns vorgestellt wird. Ich versuche in den folgenden Ausführungen, ein Blatt, das deutschsprachige Organ der Sozialdemokratischen Partei Ungarns, kurz vorzustellen.

 

Die Sozialdemokratische Partei Ungarns und ihre Organe

Wir begegnen bereits am Anfang unserer Untersuchung der Frage, warum wohl die SPD in Ungarn eine Zeitlang eine wichtige, wenn auch nicht einzige Trägerin der deutschsprachigen Presse sein konnte. Dies hängt in erster Linie mit der politischen Situation zusammen. Die deutsche Volkspartei konnte keine Massen hinter sich aufweisen, da für die Ungarndeutschen in dieser Zeit – wie eigentlich schon immer – eine apolitische Grundhaltung charakteristisch war. Die überwiegend in der Landwirtschaft tätigen Schwaben politisierten zwar nicht, die Interessenvertretung der in der Industrie tätigen, zu verschiedenen Berufen gehörenden deutschsprachigen Werktätigen war jedoch lebenswichtig. Dies ist die Zeit des großen wirtschaftlichen Aufschwunges, der Herausbildung des ungarischen kapitalistischen Systems und somit auch der Herausbildung des Proletariats. Die erste sozialistische Organisation der ungarischen Arbeiterschaft, der Allgemeine Arbeiterverein, wurde 1868 in Pest gegründet, wobei die deutsche Arbeiterschaft eine bedeutende Rolle spielte. Dieser Verein gab 1870 ein neues Wochenblatt mit dem Titel Általános Munkás Újság heraus, dessen deutschsprachige Version die Allgemeine Arbeiter-Zeitung war. (Bei der Gründung des Blattes spielte Viktor Külföldi, alias Jakob Mayer aus Württemberg eine wichtige Rolle) Erst später gründete man die Wochenzeitung Brüderlichkeit. 1870 rief man die allgemeine Arbeiter-Kranken- und Invalidenkasse ins Leben, deren Vorsitzender der Weimarer Karl Rauchmaul war. In diesem Jahr wurde ein neues Wochenblatt, die Arbeiter Wochen-Chronik gegründet, die 1878 von Leo Frankel übernommen wurde, während Külföldi 1877 eine eigene Wochenzeitung, die Volksstimme ins Leben rief. 1880 einigten sich die beiden Parteien unter der Leitung von Frankel, und im Zuge der Vereinigung wird Népszava zum ungarischen, die Arbeiter Wochen-Chronik zum deutschen Organ der Partei. Es gab andauernd Schwierigkeiten wegen den Pressemaßnahmen der Regierung. Die als Wochenzeitung erscheinenden Presseprodukte mussten z. B. eine Kaution hinterlegen, und zu Zeiten, wo die Volksstimme diese nicht zu leisten vermochte, erschien sie als Monatszeitschrift verhüllt jede Woche unter einem anderen Titel.

1910 betrug die Zahl der in Handwerk und Großindustrie beschäftigten Deutschen 180.000.8 Die Zielsetzung war in dieser Periode, die Abhängigkeit der sozialdemokratischen Presse von den bürgerlichen Druckereien abzuschaffen. Dies gelang Anfang September 1905 in Budapest, als mit 50.000 Kronen Aktienkapital die Világosság („Licht”) Buchdruckerei-Aktiengesellschaft gegründet wurde. Die Druckerei konnte am 15. März 1906 mit zwei größeren und einer kleineren Schnellpresse, zwei amerikanischen Tiegeldruckpressen und einer Rotationsmaschine in Betrieb genommen werden. Bereits ab Anfang April wurde in der ungarischen Hauptstadt die Tageszeitung der Partei, die Volksstimme mit dieser Technik hergestellt. 1909 bezog die Druckerei ein eigenes Haus. Jetzt wurde auch möglich, den deutschsprachigen Werktätigen entgegenzukommen. Man hat aus der bisher dreimal wöchentlich erscheinenden deutschsprachigen Beilage ein Tagblatt gemacht. Über die Motivation kann man im Kalender der Volksstimme folgendes lesen: „Bezüglich der Parteipresse (...) erklärt die Parteileitung, daß nur derjenige Arbeiter seine Pflicht der Partei gegenüber in vollem Maße erfüllt, welcher auf das Zentralblatt der Partei, auf die Népszava bzw. wenn er der ungarischen Sprache nicht mächtig ist, auf jenes Zentralblatt abonniert, welches er versteht (hervorgehoben von mir, D. Sz.). Der Parteitag verpflichtet jede Organisation und jeden Arbeiter, diesem Beschluss Geltung zu verschaffen.”9 Wie jetzt gesehen, wurde als weiterer Schritt der Entwicklung nun auch der Kalender herausgegeben. Dieser hatte die Aufgabe – wie diese Presseform es traditionell verlangt –, das Publikum zu informieren, und noch mehr, es zu unterhalten. Im allgemeinen lässt sich feststellen, dass sich die Struktur des Kalenders der der Zeitung angepasst war, d.h. auch hier versuchte man möglichst viel Unterhaltendes unterzubringen. Eine Mission erfüllten die Kalender im Allgemeinen, indem sie für literarisches „Lesefutter“ sorgten. Sie brachten vor allem unterhaltende Lesestoffe, Erzählungen, Gedichte in deutscher Sprache. Charakteristisch für diese Beiträge ist die Bildhaftigkeit und leichte Verständlichkeit der Sprache. Wichtig ist es zu betonen, dass der Kalender eine Komplementärfunktion erfüllte, indem er kulturelles und literarisches Material reichlich brachte, was für die Volksstimme nicht charakteristisch war. Des Weiteren hatte der Kalender auch die Aufgabe, an die wichtigsten Ereignisse des vergangenen Jahres zu erinnern, diese zusammenzufassen, da es der Redaktion klar war, dass viele Arbeiter sich ein Abonnement nicht leisten konnten

Interessant ist es auch, wie das Blatt sich über die Assimilationsfrage äußert. Hierfür findet man am 28. August 1908 ein gutes Beispiel. Der Anlass bzw. die Vorgeschichte ist, dass eine ungarische Zeitung (höchstwahrscheinlich der Pester Lloyd) von der Notwendigkeit der Assimilation spricht, da „die ungarische Kultur sowieso die höhere sei”. Darauf antwortet die Volksstimme folgendermaßen: „Wir halten diesen Standpunkt im Ganzen für verfehlt. Wohl ist es (...) wünschenswert, die auf einer niedrigen Kulturstufe stehenden Völker auf eine höhere zu überführen – aber nicht durch Wegnahme der Sprache, sondern durch die Anwendung einer höheren Produktionsart.” Die Nationalitätengegensätze interpretiert das Blatt schlicht als Ablenkungsmanöver der herrschenden Klasse, und meint, dass die Magyarisierungspolitik eine „schreckliche antikulturelle Wirkung” ausübe. Das Ergebnis sei der kulturelle Analphabetismus. Die Lösung wäre laut Meinung der Volksstimme auf der Grundlage der Autonomie jeder Nationalität zu suchen. Diese Formulierung ist nicht nur der Ausdruck einer für die damaligen Verhältnisse mutigen Denkweise, sondern auch vom „offiziellen” Standpunkt der Sozialdemokratie her gesehen überraschend, der Grundthese nach spielten nämlich die Nationalitätenunterschiede in Hinsicht auf den großen Prozess der Proletarier aller Länder und somit auf die Internationalisierung eine eher geringere Rolle.

Man könnte nach dem Lesen dieser Zeilen denken, dass die Sprachenfrage innerhalb der Bewegung in bester Ordnung gewesen wäre. In den die Geschichte der ungarischen sozialdemokratischen Partei behandelnden Arbeiten10 kann man oft darüber lesen, dass die Redner der Partei auf öffentlichen Versammlungen in mehreren Sprachen redeten, es gab ja bekanntlich auch mehrere deutschsprachige Organe (Volksstimme, in Temesvár den Volkswillen, in Preßburg die West-ungarische Zeitung). Demgegenüber wissen wir, dass es bereits 1907, anlässlich einer Großversammlung zu heftigen Debatten um die Frage der Mehrsprachigkeit des Organs der Partei gekommen war.11 (Am 1. April hielten die deutschen Gesandten eine außerordentliche Sitzung). Es kam 1910 sogar vor, dass der Abgeordnete, Alfred Horovitz – der übrigens die Abschaffung der Volksstimme und eine Dezentralisierung vorgeschlagen hatte – seine Rede auf Deutsch anfing, dann aber wegen Proteste auf Ungarisch fortsetzen musste.12 Im Februar 1913 folgte ein weiteres Warnzeichen: man sah sich gezwungen, die Deutschkurse für die Druckerei-Arbeiter in Budapest wegen mangelndem Interesse abzuschaffen. Ab 1914 wurde es immer schwieriger, die Volksstimme herauszugeben. Am 24. Juni 1914 erschien im Bruderblatt, in der ungarischsprachigen Népszava ein Aufruf, um die zu diesem Zeitpunkt bereits in einer schweren finanziellen Krise befindliche Volksstimme zu retten.13

Bis 1914 lässt sich eine Vielfalt an literarischen Artikeln beobachten, dann aber, mit dem Ausbruch des Krieges wird die kulturelle Thematik in den Hintergrund gedrängt. Diese Tendenz kann man auch beim Kalender feststellen, die letzte Folge erschien 1919. Es wurde immer weniger angeboten, Kulturelles weicht fast vollständig auf den Kalender aus. Parallel dazu gab es Schwierigkeiten, neue Abonnenten zu gewinnen bzw. überhaupt die alten zu behalten. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Bemühungen auch für den Wechsel von der Frakturschrift zu den lateinischen Buchstaben seit 1917 verantwortlich waren. Während der Kriegsjahre kann man die Spuren der immer strenger gewordenen Zensur erkennen: es wurden manchmal ganze Artikel unmittelbar vor dem Druck gestrichen. Dies hängt wiederum mit der Kursänderung der Sozialdemokraten zusammen, die ja anfangs den Krieg befürworteten, seit dem Parteitag von 1915 aber entschieden gegen den Krieg auftraten.

 

Die Budapester „Repräsentanten” der deutschsprachigen Presse

Infolge der Friedensschlüsse nach dem Ersten Weltkrieg verlor Ungarn nicht nur zwei Drittel seines Territoriums, sondern auch einen großen Teil seiner Bevölkerung, so auch die Mehrheit des Deutschtums. Zwischen 1920 und 1945 gab es in Budapest nur insgesamt acht deutschsprachige Zeitungen. Die bedeutendste davon war der „Pester Lloyd“, der – gemäß seinen Traditionen – bemüht war, seine politische Neutralität zu wahren. „Neues Politisches Journal“, „Neues Pester Journal“ (bis 1925), „Neues Politisches Volksblatt“ und das zwischen 1921 und 1935 als Illustrierte herausgebene „Sonntagsblatt“, des weiteren „Deutsche Nachrichten“ (1936–44) und die im November ‘44 ein einziges Mal erschienenen „Budapester Neueste Nachrichten“ (Redakteur war Philipp Böss) sowie die Fachzeitung „Bauarbeiter“ (Redakteur: Josef Riess) repräsentierten die Budapester deutschsprachige Presse.14

Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Trianon mussten die Vertreter der Deutschen in Ungarn feststellen, dass die Zeitungen, die als Sprachrohr der Volksgruppe fungierten (Neue Post, Pester Zeitung), immer weniger die Interessenvertretung des Deutschtums wahrnehmen konnten.15 Einer der Anführer, Jakob Bleyer wollte eine unabhängige Zeitung für die Deutschen. Das Programm der Zeitung wurde von Bleyers politischer Einstellung – ein im katholischen Glauben verankerter Konservativismus und seine deutsch-ungarische Doppelidentität – geprägt. Diese Doppelidentität bedeutete bei vielen Ungarndeutschen nicht mehr einfach das „Hungarus”-Bewusstsein des 19. Jahrhunderts, sondern mehr eine bedingungslose Loyalität zur ungarischen Nation UND zur eigenen deutschen Ethnie.16 Das Sonntagsblatt war in der Zwischenkriegszeit eines der wichtigsten Presseorgane der Deutschen in Ungarn. Die erste Nummer erschien am 2. Oktober 1921. Das Blatt fungierte vierzehn Jahre lang als die einzig wirklich deutsch gesinnte Zeitung in Ungarn, und entsprechend der Absicht der Gründer spielte es die Rolle, das Sprachrohr des deutsch-schwäbischen Volkes zu sein. Der alleinige Eigentümer und Herausgeber des Blattes war bis zu seinem Tode im Jahre 1933 Jakob Bleyer. Dann zeichnete der ältere Sohn von Bleyer Franz Bleyer die Zeitung. Das Blatt sprach in erster Linie die schwäbische Bauernschaft an. Dementsprechend bediente es sich einer einfachen und verständlichen Sprache. Anfang des Jahres 1922 verfügte es schon über fünftausend Abonnenten, und 1927 wurde es schon in vierhundert Dörfern regelmäßig gelesen. Die Auflagenzahl des Blattes nahm von Jahr zu Jahr zu, 1933 betrug sie zwölftausend. Nach den Vorstellungen Bleyers sollte das Sonntagsblatt nicht bloß ein Nachrichtenblatt sein, sondern es beabsichtigte auch weltanschaulich-religiös zu belehren, und der patriotischen Erziehung im Sinne der anti-trianonischen Propaganda zu dienen. Schon der Titel wollte die religiöse Einstellung des wöchentlich erschienenen Blattes ausdrücken, indem dem Sonntag im Leben der Gläubigen eine besondere Bedeutung zukommt.

Das Blatt setzte sich eindeutig für den christlich-nationalen Kurs der ungarischen Regierung ein. Das Blatt wurde bald zum „Forum” des Deutschtums in Ungarn. Die „Politik” des Blattes formulierte Bleyer 1926 mit den folgenden Worten: „Auch im ‘Sonntagsblatt’ machen wir keine eigene Politik, sondern unser ganzes Bestreben ist einzig und allein darauf gerichtet, unser schwäbisches Volk auf die Bahn reiner, christlicher Sitten, treuer Liebe zum angestammten Vaterland und zum angeborenen Volkstum zu leiten und zu fördern ... Freilich bitten wir und flehen wir um die erlösende Gnade, dass im Interesse der geistigen und sittlichen Wohlfahrt unseres Volkes die Gesetze und Verordnungen durchgeführt werden! Das ist doch keine ‘Politik’!”

Das Sonntagsblatt befasste sich regelmäßig mit der widersprüchlichen Nationalitätenpolitik der ungarischen Regierung. Dabei versäumte es nicht, sie zu kritisieren. Deshalb war es während der ganzen Zeit seines Bestehens den Angriffen der ungarischen Presse und Behörden ausgesetzt. Das kam darin zum Ausdruck, dass die Verbreitung des Blattes immerfort gehindert, Kampagnen gegen die „pangermanischen Gedanken” in den ungarischsprachigen Zeitungen geführt, und durch die deutschsprachigen Zeitungen unter dem Einfluss der Regierung Konkurrenz gemacht wurde. Die Nummer des Blattes am 7. Mai 1922 ließ der Innenminister beschlagnahmen, und das Erscheinen des Blattes vom 27. Juni bis 19. Juli 1922 suspendieren. Als Vorwand diente dazu, dass das Blatt eine Broschüre, die die ungarische Nationalitätenpolitik scharf kritisierte, zustimmend besprach. Da sich aber das Sonntagsblatt die ungarischen revisionistischen Bestrebungen zu Eigen machte, war es in den Nachbarländern verboten. Seit der Gründung des Ungarländischen Deutschen Volksbildungsvereins im Jahre 1924 brachte das Blatt auch dessen sämtliche Mitteilungen. Das Blatt hatte von Anfang an mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die ungarische Regierung wäre bereit gewesen, das Sonntagsblatt zu finanzieren, was aber Bleyer, um die Unabhängigkeit des Blattes bewahren zu können, zurückwies. Nach dem Tode von Bleyer wurde das Erscheinen des Sonntagsblattes, das unter den Einfluss der volksdeutschen Richtung unter der Führung von Franz Basch geraten war, durch die Regierung eingestellt. Sein Nachfolger, das Neue Sonntagsblatt, das auf die Initiative von Gustav Gratz gestartet wurde, um den Einfluss von Basch zu mildern, erschien bis 1940. Die verletzte ungarische Gesellschaft betrachtete sämtliche politische Bestrebungen der Deutschen, sogar ihre Präsenz in der Öffentlichkeit als latente Gefahr für die Integrität und Sicherheit des Landes. Das Hängen an einer nicht-ungarischen Identität wurde mit dem Fehlen der Loyalität gleichgesetzt. Dieses Verhalten bestimmte die nationalitätenpolitischen Maßnahmen des ungarischen Staates praktisch bis 1948, und markierte zugleich auch jenen engen Spielraum, der dem Ungarndeutschtum blieb.

Die Orientierung an das Deutsche Reich wurde immer deutlicher. Sie bedeutete nationalpolitische Zielsetzungen und deren Manifestation in Form von Agitation und Propaganda, dessen Ausdrucksform von nun an die Presse sein sollte. Der Vorkämpfer dieser radikalen Erneuerung war die um den Bleyer-Schüler Franz Basch gescharte Gruppe der Volksdeutschen Kameradschaft. Diese überzog die deutschen Dörfer – durchdrungen von einer naiven Begeisterung – mit einer wirkungsvollen Agitation, die mit reichsdeutschen Mitteln finanziert wurde. Ihnen gegenüber stand der Kreis der ängstlichen Konservativen, an der Spitze mit dem schon erwähnten Gratz, der sich den offiziellen Regierungsstandpunkt zu Eigen machte, und jedwelche Kursänderung ablehnte. Mit der Kameradschaft bzw. später mit dem Volksbund trat eine neue Generation auf die politische Bühne. Das Problem der Generation von Bleyer war noch, wie man als Ungar auch Deutscher sein konnte. Basch stellte jedoch die Frage, wie man als Deutscher in Ungarn weiterhin zu existieren, sich zu behaupten vermochte. Unter dem nachhaltigen Eindruck der wachsenden magyarischen Intoleranz wuchs deshalb in dieser Generation die Neigung, die Segregation einer Integration vorzuziehen, die Dissimilation einer Assimilation.17 Ihr Ziel war nun die Verteidigung der existenziellen Interessen der Ungarndeutschen, und diesem Ziel unterordneten sie auch die deutschsprachige Presse.

 

Literatur

Bellér Béla: Kurze Geschichte der Deutschen in Ungarn bis 1919. Budapest, 1986.

Dezsényi, Béla – Nemes, György: A magyar sajtó 250 éve [250 Jahre ungarische Presse], Budapest, 1954

Erényi, Tibor: Az 1918 előtti magyarországi munkásmozgalom és a nemzeti kérdés – A magyar nacionalizmus kialakulása és története [Die ungarnländische Arbeiterbewegung vor 1918 und die nationale Frage – Herausbildung und Geschichte des ungarischen Nationalismus], Budapest, 1964. S. 187–208.

Erényi Tibor: Deutschtum, Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung in Budapest. In: Deutsche in Budapest (Hg.: Wendelin Hambuch) Budapest, 1999. S. 112–121.

Farkas, József (Hg.): A magyar sajtótörténet irodalmának válogatott bibliográfiája 1705–1945 [Die Literatur der ungarischen Pressegeschichte. Eine Auswahlbibliographie. 1705–1945], Budapest, 1972. S. 259–261.

Fata, Márta: Jakob Bleyer und das „Sonntagsblatt”. Gründung und Entwicklung des Wochenblattes von 1921 bis 1933. In: Horst Fassel (Hg.): Deutsche Literatur im Donau-Karpatenraum (1918–1996). Regionale Modelle und Konzepte in Zeiten des politischen Wandels, Materialien. Tübingen 1997. S. 9–21.

Kalmár, György: Szociáldemokrácia, nemzeti és nemzetiségi kérdés Magyarországon (1900– 1914) [Sozialdemokratie, die Nationale- und die Nationalitätenfrage in Ungarn 1900–1914] Akadémiai Kiadó Budapest, 1976. S. 248

Kemény, György (Hg.): Magyarország időszaki sajtója 1911–1920 [Ungarische Presse 1911–1920] Budapest, 1942. S. 332

Kende, János: A Magyarországi Szociáldemokrata Párt nemzetiségi politikája 1903–1919 [Die Nationalitätenpolitik der Ungarnländischen Sozialdemokratischen Partei 1903–1919], Budapest, 1973. 124 S

Karl O. Kurth (Hg.): Handbuch der deutschsprachigen Presse außerhalb Deutschlands. Holzner Würzburg, 1956. S. 307–308.

Réz, Heinrich: Deutsche Zeitungen und Zeitschriften in Ungarn von Beginn bis 1918. München, 1935.

Rózsa, Mária: Die deutschsprachige Presse in Ungarn im Überblick. Eine Budapester Dokumentation. In: Anton Schwob-Horst Fassel (Hg.): Deutsche Sprache und Literatur aus Südosteuropa, Südostdeutsches Kulturwerk. München, 1996. S. 265–277.

Schödl, Günther (Hg.): Deutsche Geschichte im Osten Europas. Land an der Donau. Siedler Verlag, Berlin, 1995.

Seewann, Gerhard: Die Deutschen in Ungarn seit 1918. In: Gerhard Grimm-Krista Zach (Hg.): Die Deutschen in Ostmitteleuropa- und Südosteuropa. Band 1, Verlag Südostdeutsches Kulturwerk, München 1995. S. 219–233.

Sipos, Péter: Die Sozialdemokratische Partei Ungarns und die Gewerkschaften 1890–1944. Akadémiai Kiadó Budapest, 1991. 150 S

Sonntagsblatt für das deutsche Volk (verwendete Jahrgänge: 1921–1935)

Szabó, Dezső Die „Deutsche Zeitung” 1940–1944. Sendungsbewusstsein oder Ideologievermittlung? In: Horst Fassel (Hg.): Deutsche Literatur im Donau-Karpatenraum (1918–1996). Regionale Modelle und Konzepte in Zeiten des politischen Wandels, Materialien. Tübingen, 1997. S. 29–38.

Szabó, Dezsõ: Wissenschaftliche Dokumentation vor 1945. In: Wendelin Hambuch (Hg.): Deutsche in Budapest. Deutscher Kulturverein. Budapest, 1999. S. 431–432.

Szabó, János: Literatur und Kultur im „Volksstimme-Kalender”, Budapest, 1906 bis 1919. In: Arbeiterbewegung und Arbeiterdichtung. München, 1981. S. 115–129.

Volksstimme, Zentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Ungarns (1894–1924), ab 1919 Zentralorgan der Ungarnländischen Sozialistischen Partei. (verwendete Jahrgänge: 1906, 1907, 1908, 1913, 1914, 1917 und 1918) Volksstimme-Kalender, hrsg. v. der Volksstimme (1906–1919) (verwendete Jahrgänge: 1907, 1909, 1910, 1912, 1915, 1919)

 

Anmerkungen

1

Erényi, Tibor: Deutschtum, Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung in Budapest... S. 112.

2

Soós, István: Deutsche Presse in Pesth-Ofen. In: Deutsche in Budapest (Hg.: Wendelin Hambuch) Budapest, 1999. S. 410.

3

Rózsa, Mária, S. 270.

4

Erényi, Tibor: Deutschtum, Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung in Budapest... S. 117.

5

Handbuch der Weltpresse, Band 1, hrsg. von der Universität Münster, 1978 S. 392.

6

Vgl. Dezső Szabó: Die Deutsche Zeitung. Sendungsbewusstsein oder Ideologievermittlung, S. 30–31.

7

Handbuch der deutschsprachigen Presse außerhalb Deutschlands, hrsg. von Karl O. Kurth, Holzner Würzburg 1956 S. 307–308.

8

Erényi, Tibor: Deutschtum, Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung in Budapest... S. 114.

9

Zitat aus: Volksstimme-Kalender, 1912, S. 18.

10

Es soll hier stellvertretend das Buch von György Kalmár stehen

11

Siehe ausführlicher bei Kalmár, György: Sozialdemokratie... S. 147. und Kende, János: Die Nationalitätenpolitik... S. 61.

12

Kende, János, o.g. S. 62.

13

„Állítsátok helyre a Volksstimme-t!” (Rettet die Volksstimme!) In: Népszava, 24. Juni 1914

14

Siehe bei István Soós, Deutsche Presse in Pesth-Ofen, o.g.w. S. 412.

15

Vgl. Schödl, S. 367–386.

16

Márta Fata: Jakob Bleyer und das Sonntagsblatt., z.W. S. 10–11.

17

Gerhard Seewann: Die Deutschen in Ungarn S. 224.