1088 Budapest, Rákóczi út 5.; Tel: (36 1) 381 23 47; E-mail: Ez az e-mail-cím a szpemrobotok elleni védelem alatt áll. Megtekintéséhez engedélyeznie kell a JavaScript használatát.
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 12:43–50.

THOMAS JANSEN

Die Reform des politischen Systems der Europäischen Union angesichts ihrer Erweiterung*

 

Im Rahmen der Thematik meines Vortrags will ich im Einzelnen sprechen

1. vom Charakter der Europäischen Union;

2. von den Motiven, die ihre Attraktion ausmachen und ihren Zusammenhalt bestimmen;

3. von den Herausforderungen, die wir Europäer im Laufe des nächsten Jahrzehnts bestehen müssen;

4. von den Problemen der Erweiterung unserer Union um die Staaten und Völker Mittelosteuropas;

5. von den Voraussetzungen, die in der Europäischen Union geschaffen werden müssen, damit wir die vor uns liegenden Aufgaben erfolgreich bewältigen können.

 

1. Zum Charakter der Europäischen Union

Im Frühjahr 1998 haben die Verhandlungen mit den Regierungen der Länder Mittelosteuropas begonnen, die der Union beitreten wollen. Es geht um die Verständigung auf die Modalitäten ihres Beitritts.

Die Union, der sich diese Staaten anschließen wollen, umfasst bereits 15 Mitglieder: Frankreich, Italien, Deutschland, Belgien, die Niederlande und Luxemburg sind von Anfang an dabei, nämlich seit 1952; Großbritannien, Irland und Dänemark kamen 1973 hinzu; 1981 Griechenland, 1986 Spanien und Portugal; schließlich wurden, im Januar 1995, Österreich, Schweden und Finnland als Mitglieder aufgenommen.

Was ist eigentlich diese Europäische Union, die nun – wieder einmal – erweitert werden soll? Wie können wir sie charakterisieren? Welches sind die Motive, die sie bestimmen?

Zunächst einmal handelt es sich um eine politische Gemeinschaft von Staaten, die ihre Aktionseinheit im Wesentlichen nach föderalen Prinzipien organisieren.

Aber gleichzeitig ist die Union auch ein demokratisch organisiertes Gemeinwesen, das es sich zur Aufgabe macht, die Bedürfnisse und Interessen seiner Bürger zu befriedigen.

Also können wir sowohl von einer Staaten-Union als auch von einer Bürger-Union sprechen, die ausgestattet ist mit politisch legitimierten und verantwortlichen Institutionen:

– nämlich einem Parlament, das den Willen und die Erwartungen der Bürger zum Ausdruck bringt;

– einem Minister-Rat, der die Interessen der Mitgliedsstaaten vertritt;

– einer Kommission, die sich um die Formulierung des Gemeinschaftsinteresses und des Gemeinwohls bemüht;

– einem Wirtschafts- und Sozialausschuss und einem Ausschuss der Regionen als Organe der Konsensbildung und der Vertretung spezifischer Interessen, die einerseits die organisierten gesellschaftlichen Kräfte und andererseits die territorialen Gebietskörperschaften repräsentieren;

– sowie – nicht zuletzt – einem Gerichtshof, der über die Einhaltung der in der Union geltenden Regeln und Gesetze wacht.

Der Auftrag der Europäischen Union besteht darin, durch die Politik und die Projekte ihrer Institutionen die großen Aufgaben zu bewältigen, die von den Mitgliedstaaten allein nicht bewältigt werden können.

Grundlage für die Politik der Europäischen Union und für ihre Entwicklung ist der zwischen den Mitgliedsstaaten vereinbarte Vertrag, der im Lauf der Zeit mehrfach revidiert und ergänzt wurde: alles begann mit dem Pariser Vertrag von 1952, dann kam der Römische Vertrag von 1958, dann der Luxemburger Vertrag von 1987, dann der Maastrichter Vertrag von 1993 und schließlich der Amsterdamer Vertrag von 1997.

Auf dem Weg von Paris und Rom über Luxemburg und Maastricht nach Amsterdam ist dieser Vertrag immer mehr zu einer Verfassung geworden, welche die Prinzipien des Einigungswerks und des daraus entstandenen Gemeinwesens auf vielfältige Weise zum Ausdruck bringt.

Besonders augenfällig wird dieser Verfassungscharakter des Vertrages in einer neuen Bestimmung des Amsterdamer Vertrags, der die Union auf die „Grundsätze der Freiheit, der Demokratie, der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit“ verpflichtet.

Und um zu unterstreichen, dass es sich hier nicht bloß um eine gutgemeinte, wohlfeile Deklaration handelt, wird bestimmt, dass einem Mitgliedsstaat, der dieses Gebot verletzt, die Rechte, die ihm aus dem Vertrag erwachsen, entzogen werden können.

Das ist sehr bemerkenswert. Denn diese Bestimmung stellt die nationalstaatliche Souveränität zur Disposition und unterwirft sie einem Wertesystem. Im Ansatz handelt es sich hier um den ‘Bundeszwang’, den wir aus bundesstaatlichen Verfassungen kennen.

 

2. Zu den Motiven und Werten

Die Prinzipien, die im Unionsvertrag zum Ausdruck gebracht werden, entsprechen den Werten, die schon die Gründung der Europäischen Gemeinschaft zu Beginn der fünfziger Jahre motiviert hatten, nämlich Versöhnung, Frieden, Solidarität, Gerechtigkeit und Freiheit.

Der Friede ist eine notwendige Voraussetzung für die Entfaltung der Völker Europas und ihrer Gesellschaften. Dieser Friede soll in Taten und Tatsachen verankert und durch eine institutionalisierte übernationale Zusammenarbeit dauerhaft gesichert werden.

Die Versöhnung zwischen den Völkern, die sich im Laufe einer langen Geschichte immer wieder feindlich und kriegerisch gegenübergestanden haben, ist eine Voraussetzung für einen anhaltenden Frieden. Versöhnung verlangt erhebliche Anstrengungen, um den anderen zu verstehen und in seiner Verschiedenheit zu akzeptieren. Dieser Lernprozess soll durch die gemeinsame Arbeit im Dienste eines Zukunftsprojektes erleichtert werden.

Die Solidarität zwischen den Nationen – aber ebenso zwischen den verschiedenen Gruppen der Gesellschaft, zwischen Favorisierten und Benachteiligten, zwischen Armen und Reichen, ist eine notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung jenes gemeinsamen Projektes, nämlich die Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft. Diese Solidarität soll im gemeinsamen Handeln und in der gemeinsamen Lösung der gemeinsamen Probleme gesucht werden.

Die Gerechtigkeit ist eine notwendige Voraussetzung für eine lebendige, von allen Partnern akzeptierte und mitgetragene Solidarität; sie soll sich stützen können auf bindende Verträge, in denen die Beziehungen zwischen den Partnern zuverlässig organisiert und die Regeln für das Zusammenleben über die Grenzen hinweg festgelegt sind. Diese Gerechtigkeit soll sich konkretisieren in der gemeinschaftlichen Politik.

Die Freiheit ist eine notwendige Voraussetzung für die Realisierung all dieser Prinzipien in der politischen Aktion ebenso wie im gesellschaftlichen und im persönlichen Leben der Menschen.

Zusammengenommen stellen diese Werte eine Ethik der Einigungspolitik dar, deren sich die Baumeister des neuen Europa nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs sehr wohl bewusst waren. Das Bewusstsein dieser ethischen Dimension der europäischen Einigung ist im Zuge der erfolgreichen Realisierung des Projekts etwas verloren gegangen.

Ihre Bewusstmachung (oder: Wieder-Bewusstmachung) ist heute dringend geboten: vor allem im Hinblick auf die Union, die – unter Einbeziehung der Völker und Staaten Mittelosteuropas – noch geschaffen werden muss; aber auch die Union, die schon geschaffen wurde, braucht dringend die ethische Inspiration als Grundlage eines umfassenden Konsenses über seine Identität, ohne den die Europäische Union als politisches Gemeinwesen auf Dauer keinen Bestand haben wird.

 

3. Zu den Herausforderungen und Aufgaben

Bei der bevorstehenden Erweiterung handelt es sich gewiss um die größte und schwierigste Aufgabe, der die Union in ihrer 50jährigen Geschichte je gegenüber gestanden hat, vergleichbar bestenfalls mit dem, was bei der Gründung und Ingangsetzung des Einigungsprozesses in den fünfziger Jahren selbst zu leisten war.

Aber die Erweiterung um die mittelosteuropäischen Staaten ist nicht die einzige Herausforderung, der wir uns in der Europäischen Union heute und morgen gegenüber sehen.

Die Herausforderungen, denen wir uns gleichzeitig mit der Erweiterung stellen müssen, ergeben sich vor allem:

– aus den technologischen und industriellen Entwicklungen, insbesondere im Bereich der Information und Kommunikation, durch die weltweit neue Formen der Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsweisen entstehen;

– aus dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums und den enormen geistig-kulturellen Verwüstungen und materiellen Zerstörungen, die der Kommunismus im Osten Europas hinterlassen hat;

– aus dem europäischen Einigungsprozess selbst, der eine Dynamik erzeugt hat, durch welche die Verantwortung der Union nach innen und nach außen erheblich zugenommen hat: das macht weitere Reformen ihres politisch-institutionellen Systems im Sinne der Demokratie und des Föderalismus unabdingbar, da sonst die ihr übertragenen Aufgaben (und damit die berechtigten Erwartungen der Bürger) nicht erfüllt werden können.

Neben alldem, was die Union ohnehin zu leisten hat, um ihren Auftrag in den verschiedenen Politikbereichen zu erfüllen, sowie neben alldem, was im Zusammenhang mit der Erweiterung zu leisten ist, geht es in der Auseinandersetzung mit diesen Herausforderungen in erster Linie um folgende konkrete Aufgaben:

– die Erneuerung der Gesellschaft durch die Anpassung des europäischen Sozialmodells an die neuen Bedingungen – und zwar unter Bewahrung dessen, was an diesem Modell, das wir in Deutschland die ‘Soziale Marktwirtschaft’ nennen, wesentlich ist, nämlich die Versöhnung von Leistungsfähigkeit und Solidarität;

– die Entwicklung einer demokratischen und föderalen Verfassungsordnung, die auf einem stabilen Konsens beruht und die deshalb geeignet ist, einer Union mit 25 bis zu 30 Mitgliedstaaten einen soliden Rahmen für ihre Zusammenarbeit und Aktionseinheit zu bieten;

– die Mitwirkung an der Schaffung einer neuen Weltordnung, die den technologischen, wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen angemessen ist. Denn im Kontext des Weltgeschehens weist die Zusammenfassung der Staaten und Völker Europas in einer Union über sich selbst hinaus. Die durch den Prozess der Gemeinschaftsbildung hier entstandene Stabilität, das dabei entwickelte Instrumentarium der Friedensstiftung, der hier verfügbare Reichtum – all das verpflichtet die Europäische Union, Verantwortung in der Welt und für die Welt zu übernehmen.

Dabei geht es nicht nur um die Entwicklungshilfe und um den Einsatz zugunsten der Menschenrechte oder zugunsten des Schutzes der Umwelt. Es geht darüber hinaus auch um die Gestaltung eines institutionellen und rechtlichen Rahmens für das Weltgeschehen, das weltweite Wirtschaften, den weltweiten Verkehr, die weltweite Kommunikation, die Ökologie der Welt, also kurzum für die Weltpolitik in allen ihren verschiedenen Sparten.

 

4. Zu den Problemen der Erweiterung

Wir können heute die Staaten Mittelosteuropas als zukünftige Mitglieder der Union betrachten. Gemeinsam mit ihnen unternimmt die Union systematische Anstrengungen, um das zu realisieren, was während der vorangegangenen Jahrzehnte ein Traum geblieben war, nämlich das gesamte Europa in Frieden und Freiheit zu vereinen.

Die grundlegende Bedingung für eine Einbeziehung der Staaten Mittelosteuropas in die europäische Wertegemeinschaft und Einigungsbewegung bestand und besteht darin, dass ihre jeweilige politische und gesellschaftliche Ordnung mit dem System der Europäischen Union kompatibel sein müssen, das heißt, dass sie vor allem demokratisch und pluralistisch und rechtsstaatlich sein müssen. Deshalb ging und geht es bei den Vorbereitungen auf den Beitritt dieser Länder vor allem:

– um die Rekonstruktion der staatlichen, demokratischen Ordnungen und von bürgernahen, effizienten Verwaltungen;

– um die Normalisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Sinne des Pluralismus, der Toleranz und Solidarität;

– um die Entstehung und Entwicklung einer ‘civil society’ und die Stärkung der kreativen gesellschaftlichen Kräfte;

– um die Überwindung des Nationalismus und der Konflikte zwischen einzelnen Volksgruppen;

– um den Übergang zur Sozialen Marktwirtschaft.

Obwohl in allen diesen Bereichen große Fortschritte gemacht wurden, ist doch noch ein weiter Weg zurückzulegen, bis alle Bedingungen überall in vollem Umfang erfüllt sein werden. Wichtig war aber schon von Anfang an und ist nach wie vor die Perspektive. Und in dieser Perspektive zeichnet sich ab, dass die Fundamente, die gelegt wurden, halten werden, und dass der europäische Brückenbau zwischen Ost und West gelingen wird.

Diese Zuversicht darf uns jedoch nicht übersehen lassen, um welch große und überaus schwierige Aufgaben es dabei geht.

Denn der Kommunismus beherrschte und bestimmte in den meisten der zukünftigen Mitgliedsstaaten der Union nicht nur die Regierungssysteme, sondern usurpierte darüber hinaus auch die Staaten und ihre Gesellschaften. Deshalb handelte es sich bei den Umbrüchen, die wir seit 1989/90 in den Ländern Mittel- und Osteuropas erlebt haben, auch nicht nur um Regierungs- oder Regimekrisen, sondern um fundamentale Staats- und Gesellschaftskrisen.

Um den Mittel- und Osteuropäern ihre ‘Rückkehr nach Europa’ zu ermöglichen und zu erleichtern, sind seitens der Europäischen Union Programme und Politiken entwickelt worden. Beistands- und Assoziierungsabkommen wurden abgeschlossen. Erhebliche Geldmittel wurden bereitgestellt. Viele Projekte sind auf den Weg gebracht und haben zum guten Teil bereits sehr positive Wirkungen erzielt.

Was in dieser Hinsicht bereits geleistet wurde und noch zu leisten sein wird – das würde ein bloß wirtschaftlich interessierter Staatenverbund ebenso wenig leisten können wie eine internationale, nach diplomatischen Regeln funktionierende Organisation. Auch hieran zeigt sich die besondere Qualität der Europäischen Union: sie ist Friedensgemeinschaft, sie ist Solidargemeinschaft, sie ist Rechtsgemeinschaft. Und ihre Berufung ist es, immer mehr zu einer transnationalen, demokratischen und föderalen Res publica zu werden.

 

5. Zu den Voraussetzungen, die in der Union geschaffen werden müssen

Der europäische Brückenschlag zwischen Ost und West und das Zusammenleben in der Union kann und wird in dem Maße gelingen, wie die beiden Teile Europas zu einer Wertegemeinschaft zusammenwachsen.

Der praktische Erfolg der Erweiterung nach Osten setzt darüber hinaus vor allem die Reform des politisch-institutionellen Systems der Europäischen Union voraus.

Diese Voraussetzung hat eigentlich schon der bereits erwähnte Amsterdamer Vertrag, der seit dem 1. Mai 1999 in Kraft ist, schaffen sollen. Er hat das aber nur sehr bedingt getan. Denn bei allen positiven Elementen, die dieser Vertrag in Ergänzung des Maastrichter Vertrages von 1993 einführt, hat er nicht das gebracht, was er hätte bringen müssen, um die Union auch in institutioneller Hinsicht für die Erweiterung fit, d.h. handlungsfähig zu machen.

Insbesondere wurde versäumt, die Regel der Einstimmigkeit im Ministerrat durch die Mehrheitsregel abzulösen.

Weitere Fragen, die für das Funktionieren der Union wichtig sind, wie zum Beispiel die nach dem Gewicht der Stimmen der Mitgliedsstaaten in Bezug auf ihre Einwohnerzahl oder die der Anzahl der Mitglieder der Europäischen Kommission nach der Erweiterung blieben ungelöst.

Deshalb wurde vom Europäischen Parlament und ebenso von der Kommission sowie von den Regierungen einiger Mitgliedsstaaten mit Recht gefordert, dass vor dem Vollzug der Erweiterung die notwendigen institutionellen Nachbesserungen erfolgen. Denn es wäre verantwortungslos, auch gegenüber den neuen, zukünftigen Mitgliedern, die Union nicht rechtzeitig mit den Instrumenten und Verfahren auszustatten, durch die sichergestellt werden kann, dass die Erweiterung ein Erfolg wird.

In diesem Zusammenhang sind die beiden, seit der Jahreswende 1999/2000 parallel verlaufenden Prozesse, durch die das politisch-institutionelle System der Europäischen Union weiterentwickelt werden wird, von großer Bedeutung:

1) die Anpassung der Institutionen an die Erfordernisse der Erweiterung. Das geschieht in einer Regierungskonferenz, die gegen Ende des Jahres ihre Ergebnisse im ‘Vertrag von Nizza’ vorlegen soll;

2) die Ausarbeitung einer Charta der europäischen Grundrechte. Das geschieht im ‘Europäischen Konvent’, einem neuen Gremium, zusammengesetzt aus Vertretern der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments, der nationalen Regierungen und der Europäischen Kommission. Auch die Charta soll bis Ende dieses Jahres verabschiedet sein.

Zusammenfassung

1. Die Europäische Union ist ein sowohl völkerrechtlich wie demokratisch legitimiertes, politisches Gemeinwesen; sie ist sowohl eine Staaten-Union wie eine Bürger-Union.

2. Die Erneuerung der europäischen Gesellschaft durch die Reform und die Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft, die ein wichtiges Element der europäischen Identität darstellt, ist eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass die Bürger die Union akzeptieren und sich mit ihr identifizieren.

3. Wir brauchen dringend eine Verfassung für die Europäische Union, die einerseits die Aufgaben und Verantwortlichkeit der verschiedenen Ebenen (Union, Nation, Region) klarstellt, sowie andererseits die Institutionen, Instrumente und Verfahren systematisch beschreibt.

4. Die Erweiterung um die Völker und Staaten Mittelosteuropas, die aus historischen und kulturellen Gründen Anspruch auf eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union erheben können, und die in der Lage sind, die politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der europäischen Politik während des nächsten Jahrzehnts. Es geht um die politische und wirtschaftliche Stabilisierung des gesamten mittelosteuropäischen Raumes und damit um eine entscheidende Voraussetzung für die innere und äußere Sicherheit des gesamten Kontinents.

5. Die Erweiterung der Union sollte nicht zu einer Verwässerung ihres politisch-institutionellen Systems führen; sie muss im Gegenteil die Union stärker machen, damit sie mit den durch die Erweiterung wachsenden Aufgaben fertig werden kann. Die Vertiefung ihrer demokratischen und föderalen Ordnung ist deshalb eine wesentliche Voraussetzung ihrer geographischen Erweiterung.

6. Der Traum der Gründungsväter, das gesamte Europa in Frieden und Freiheit zu vereinen, kann Wirklichkeit werden, wenn es gelingt, diesen doppelten Prozess der politischen Vertiefung und der geographischen Erweiterung zum Erfolg zu führen. Die Europäische Union wird erheblich an Identität und Glaubwürdigkeit hinzugewinnen, wenn der Anspruch, das ganze Europa zusammenfassen und repräsentieren zu wollen, der mit der Namensgebung „Europäische Union” erhoben wurde, eingelöst werden kann.

7. Die zu erwartende Globalisierung unserer gesamten Lebensverhältnisse im 21. Jahrhundert verlangt gebieterisch die Schaffung einer neuen Weltordnung. Die Europäische Union ist in einer privilegierten Lage, hierfür auf der Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen Vorschläge zu unterbreiten und durchzusetzen, falls es ihr in den kommenden Jahren gelingen sollte, ihr Gesellschaftsmodell durch Erneuerung erfolgreich zu verteidigen, ein neues Bewusstsein für die ethische Dimension ihrer Existenz und Aktion zu entwickeln, ihr politisches System effizient und transparent zu gestalten sowie gleichzeitig ihre geographische Erweiterung zu bewältigen.

 

Thomas Jansen ist ein wohlbekannter Experte in europäischen Angelegenheiten. Er war im März 2000 Gast des Europa Institutes Budapest und hielt seinen Vortrag am 21. 3. 2000