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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 16:177–182.

FERENC GLATZ

Die Zukunft der kleinen Nationen in Mitteleuropa

Nationale Identitäten in Mitteleuropa (Eine Arbeitshypothese)

 

Das Europa Institut Budapest erhielt bei der Széchenyi-Ausschreibung den Auftrag zur Ausarbeitung obigen Themas. Die Ausarbeitung des Themas bedeutet die Organisierung von Konferenzen sowie die Ausarbeitung eines Studienbandes bzw. eines Handlungsprogramms. Unsere Fragestellung bei der Ausschreibung war folgende:

„Die Zukunft der kleinen Nationen in Mitteleuropa beschäftigt gleichermaßen die Philosophen und Politiker Europas. Wird Europa der Kontinent der großen europäischen Kulturen, der Kontinent der englischen, deutschen, französischen, russischen, spanischen Kultur oder finden auch die kleinen Nationen ihren Platz im neuen Europa? Wie können die Interessen dieser kleinen Nationen, vor allem die der kleinen Nationen in Ostmitteleuropa an der Jahrtausendwende zur Geltung gebracht werden? Welche sind die Inventare der Aufbewahrung der nationalen Kulturen? Welche Rolle können und müssen die staatliche Kulturpolitik, die Privatsphäre sowie die kulturellen-wissenschaftlichen Autonomien: die Zeitschriften, Lehrstühle, Forschungsinstitute und die Intelligenz in der Bewahrung dieser vielfarbigen ostmitteleuropäischen Kultur spielen? Die Wirkung der Intelligenz auf die öffentliche Meinung wird mit der Erweiterung des informatischen Inventars immer größer. Sie hat nämlich die Hochschulausbildung, das Fernsehen, Rundfunk, die Tageszeitungen und Zeitschriften in der Hand. Welche Auswirkungen kann die Erweiterung der Europäischen Union und der NATO auf die ethnischen Konflikte in Ostmitteleuropa haben? Wie können diese gelöst werden?”

Im Folgenden wird unsere Arbeitshypothese zur Diskussion gestellt.

 

I. Der Begriff der kleinen Nationen

Der Begriff der kleinen Nationen ist nicht geklärt, er wird deshalb in der internationalen Fachliteratur nur in Anführungszeichen gebraucht. Es gibt nur ein objektives Kriterium: die Gruppierung von Personen, die die gleiche Sprache sprechen. Manche bezeichnen die Nationen als „große Nationen”, die die von der UNO offiziell akzeptierten sechs Sprachen (Englisch, Französisch, Spanisch, Arabisch, Chinesisch, Russisch) sowie die zwei aus politischen Gründen unterlassenen zwei Sprachen (Deutsch, Japanisch) sprechen. Deshalb: solange wir über die Begründetheit der Thematik des Projektes überzeugt sind, halten wir den Annäherungsweg des Themas für bestreitbar. Es ist begründet „die Nation-Bestimmung” zu untersuchen, da die Zugehörigkeit zu einer Nation als „Bekenntnis” angesehen wird.

Auch der Begriff der Nation ist – wie bekannt – bestreitbar. Wir definieren die Nation als eine sprachliche-traditionelle, emotionale Gemeinschaft, zu der das Individuum auf Grund des Bekenntnisses gehört. So halten wir es für vorstellbar, dass das Individuum gleichzeitig zwei oder mehrere nationale Identitäten erlebt.

Wir bestimmen die ostmitteleuropäische Region traditionell nach der territorialen Verwaltungsordnung: danach gehören nördlich-südlich das Baltische Meer und die Adria und westlich-östlich das Gebiet zwischen Deutschland und der Ukraine. Folgende Nationen werden behandelt: die polnische, tschechische, slowakische, slowenische, ungarische, kroatische, serbische, rumänische sowie die in der Region keinen Staat bildende, jedoch als sogenannte staatnationale Minderheit bildende deutsche Nation.

Bei der Erörterung des Themas möchten wir festhalten: die Frage der nationalen Minderheiten wird als ein Unterthema behandelt, die durchaus zum Thema gehört.

 

II. Hypothesen über die Zukunft

1. Industriell-technische Revolution und Globalisation

Die ostmitteleuropäische Region befindet sich in de Epoche der weltweiten industriell-technischen Revolution und der damit einhergehenden wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Globalisation. Deren Auswirkung für das menschliche Kontaktsystem ist noch nicht voraussehbar. Ziel des Projektes ist eben, die mögliche Entwicklung des Bewusstseins der nationalen Zusammengehörigkeit sowie die Möglichkeiten „der Beeinflussung der Geschichte” zu diskutieren.

Wir betrachten die industriell-technische Revolution als eine kulturell-anthropologische Revolution: die mit den Chips angefangene Revolution in der Mikroelektronik und in der Massenkommunikation verändert die Kultur der alltäglichen menschlichen Kontakte und die neuen Möglichkeiten zur Kulturvermittlung verstärken neue Faktoren der Gemeinschaftsgestaltung.

2. Identitätspluralismus

Die Menschheit lebte während ihrer ganzen Geschichte in Identitätspluralismus. (1991) Unser Ausgangspunkt: die neue industriell-technische Revolution verstärkt in der Gesellschaft den Individualismus. Die neuen Mitteln der Kulturvermittlung ermöglichen, dass das Individuum seine Kenntnisse außerhalb der gemeinschaftlichen Formen des Kenntniserwerbs (Schulsystem) erwirbt und sein Verhältnis zu seiner menschlichen Umgebung bzw. seiner Umgebung in der Natur definiert. Der Mensch erlebte auch bisher verschiedene Identitäten: auf Grund seines Geschlechts, seiner Familie, des Lebensalters sowie eine soziale, fachliche, nationale, staatsbürgerliche, gemeinschaftliche und politische Identität. Diese Formen der Identität vermehren sich bereits und werden zu Kohäsionskräften der Gemeinschaft. (Zum Beispiel die Identitäten auf Grundlage des Naturschutzes, Hobbys, Sports usw.) Infolge des Individualismus formulieren die Menschen für sich selbst die Struktur der Identitäten (also die Einstufung nach der Relevanz) öfter als früher. In einem Lebensalter ist es möglich, dass die Identität nach dem Geschlecht oder Lebensalter und in einem anderen Lebensalter die nationale oder soziale bzw. die staatsbürgerliche oder sonstige Identitäten entscheidend sind. (Die verschiedenen Identitäten werden also anders eingestuft.)

Das 19.–20. Jahrhundert brachte das Übergewicht der staatsbürgerlichen und politischen Identitäten mit sich. Dies erklären die großen historischen Erlebnisse der vergangenen zwei Jahrhunderte, der Ausbau der modernen Verwaltungssysteme, der den Aufschwung der geistigen und materiellen Kräftenentfaltung der Menschheit verursachte. Unsere Hypothese: das 21. Jahrhundert wird infolge der oben erwähnten Faktoren diese Hegemonie der staatsbürgerlichen Identität sprengen. Unsere Hypothese ist sogar, dass das Individuum in der gleichen Zeit zu mehreren Nationen oder Staaten eine gleiche Identität aufweisen kann.

3. Nationale Identität–Kulturnation

Unsere Hypothese ist, dass die nationale Identität eine der grundsätzlichen Identitäten im 21. Jahrhundert sein wird. Das große Bestreben des 19.–20. Jahrhundert war (es wurde zuerst während der französischen Revolution formuliert), dass die staatsbürgerliche und nationale Identität auf die gleiche Grundlage gesetzt werden sollen. Das erste Kriterium der Nation wurde (ausgesprochen oder unausgesprochen), dass sie eine Verwaltungseinheit zu bilden und darin eine mehrheitliche Position annehmen kann. (Staatsnation) Nach unserer Auffassung muss man auf die Jahrhunderte vor der Staatsnation zurückgreifen, damit man erkennen kann: die verschiedenen Elemente der nationalen Identität (ethnisches Bewusstsein, sprachliche Identität, traditionelle Identität) waren seit Jahrtausenden Eigenartigkeiten des menschlichen Geschlechts. Diese Bewusstseins- und emotionalen Kräfte werden, obwohl noch nicht bekannt im welchen Maße, auch im 21. Jahrhundert präsent sein. Wir definieren die Nation in erster Linie auf kultureller Grundlage und verwenden deshalb für das 20.–21. Jahrhundert Herders Begriff der „Kulturnation” (1976). Wir unterschätzen die Rolle des Staates (bzw. des Verwaltungssystems) in der Bewahrung der nationalen Identitäten nicht, unseres Erachtens nach werden sich jedoch im 21. Jahrhundert die Verwaltungs- und sozial-kulturellen Leistungen des Staates verstärken und unter diesen wird auch die Pflege der nationalen Kultur präsent sein.

Die Kulturnation ist unabhängig von den Staatsgrenzen die Gemeinschaft der Personen, die sich zu der gleichen Nation bekennen.

4. Verwaltung und nationale Zugehörigkeit

Die neue industrielle-technische Revolution und die Globalisation erhöhen schnell den geistigen und den Bewegungsradius des Individuums. Unsere Hypothese: der Primat der Identität nach dem Wohnort (also nach der Verwaltungseinheit: Staat, Region, Gemeinschaft usw.) wird erhalten bleiben, vor allem wegen der Aufrechterhaltung der Steuerbezahlung und damit der Administration in der Verwaltung. Auch die Identitäten auf kultureller Grundlage werden sich jedoch verstärken, die sich aus dem Erkenntnis der Wichtigkeit von **?**Homo ludens**/?** ergeben.

In der untersuchten ostmitteleuropäischen Region verstärkten sich die anhand der Einteilung der Verwaltung entstandenen Identitäten im 20. Jahrhundert. Die staatsbürgerliche Identität konnte jedoch die kulturnationale Identität nicht dermaßen übersteigen wie in Westeuropa. Dessen Ursache ist: die Grenzen der Verwaltung passten sich in der Region nie an die Grenzen der ethnischen-nationalen Gebiete an. Die Versuche, dies zu erreichen mussten immer wieder scheitern (1918–20, 1938–41, 1945–47, 1991–92) oder brachten für die Gesellschaft der Region unendliches Leid. Die Behandlung der nationalen Frage hat deshalb bezüglich der „menschlichen Zukunft” der Region eine sehr große Relevanz.

5. Nationale Mehrheit und Minderheit

Am Schicksal der Minderheiten ist der Humanismus der gesellschaftlichen Einrichtung zu erkennen (egal ob es um nationale oder religiöse Minderheiten geht). Die Aufrechterhaltung der nationalen Minderheiten ist eine Bedingung der Vielfältigkeit der Region. Aber auch seine direkte Nützlichkeit ist stark: wenn sich die regionalen – von den Staatsgrenzen unabhängigen –, wirtschaftlichen-kulturellen Kontakte verstärken, dann kann die muttersprachliche Minderheitenbevölkerung auf der anderen Seite der Grenze der lokale Organisator der grenzübergreifenden Kontaktsysteme sein.

6. Die Pflege der nationalen Identitäten

Unsere Überzeugung: die Aufrechterhaltung der nationalen Kulturen ist auch eine menschliche-politische Entscheidung. Die Aufrechterhaltung der nationalen Identitäten ist zugleich eine Frage der Aufrechterhaltung der menschlichen Vielfältigkeit. Die Pflege der nationalen Identität muss deshalb aus dem Geld der Steuerzahler finanziert werden und gehört zu den sogenannten gemeinschaftlichen Aufgaben. Im Zeitalter der industriell-technischen Revolution verändert sich die ganze Kultur der Kontakte, so können die Träger der nationalen Identität (Sprache, Gewohnheitssystem, Tradition) auch nur weiterexistieren, wenn sie sich an die neuen gesellschaftlichen-technischen Umstände anpassen. Diese Anpassung ist teilweise ein spontaner Prozess, sie kann jedoch – unsere Meinung wiederholend–auch stark beeinflusst werden.

Es muss zur Diskussion gestellt werden, dass die Aufrechterhaltung der nationalen Identitäten durch folgende Faktoren beeinflusst werden:

– a) Die Zukunft der Sprachen und die Möglichkeit zu ihrer Modernisierung

– b) Die Kulturpolitik (die Kulturpolitik der staatlichen und der privaten Sphäre sowie die Medien inbegriffen)

– c) Die Bewegungen in der Verwaltung und der Wirtschaft der Region (europäische Integration, neuer Regionalismus, Wirtschaftsbündnisse in der Region usw.)

– d) Traditionelle Elemente des öffentlichen Denkens (das historische Bewusstsein)

 

III. Forschungsthematik

Die für 4 Jahre geplante Forschung verfolgt die Themen, die nach unserer Hypothese die Zukunft der Nationen beeinflussen werden.

1. Die Sprachen der ostmitteleuropäischen Region

Die englische Sprache und die regionalen **?**Linguae Francas**/?** in der Region. • Die deutsche Sprache und die russische Sprache als regionale **?**Linguae Francas**/?**. • Die Modernisierung der einzelnen kleinen nationalen Sprachen und die sprachlichen Programme der Region (Gesetz, Übersetzungsprogramm usw.) • Die muttersprachlichen Probleme der als nationale Minderheiten lebenden Volksgemeinschaften.

Die Statistik der nationalen Sprachen in der ostmitteleuropäischen Region.

2. Das Weiterleben und die Modernisierung der nationalen Tradition

Der Gesichtsunterricht in der Region mit besonderer Rücksicht auf das Verhältnis der kontinentalen, regionalen und nationalen Geschichte. • Die Untersuchung des Bildes von den Anderen in den Geschichtsbüchern. • Vorschlag zur Akzeptanz der regionalen Grundsätze im Geschichtsunterricht der Region.

3. Die Pflege der Kulturpolitik und der nationalen Identität

Die nationalen Gesichtspunkte der Kulturpolitik: Tradition und Modernisierung. • Kulturpolitik nach der Auflösung des Staatensystems der Proletardiktatur. • Staatliche und private Medien.

Minderheitenpolitik, Statuspolitik, Kulturpolitik. • Die nationalen Minderheiten der ostmitteleuropäischen Region und der Kodex der Minderheitenpolitik. • Die ungarischen Minderheiten in den Nachbarländern und in den Überseeländern. • Nicht-ungarische Minderheiten in Ungarn.

Die Europäische Union und die Faktoren der Bewahrung der nationalen Identität. • Die Europäische Union und der Schutz der Nationalitätenminderheiten.

Die Kulturpolitik der Zivilorganisationen. • Die Akademie und die Kulturvereine als mögliche Organisationen einer neuen Zivilgesellschaft im 21. Jahrhundert.

 

IV. Publikationen

1. Monographie

Die Publikation einer Monographie mit dem Titel **?**Die Zukunft der kleinen Nationen in Ostmitteleuropa**/?** in einem Umfang von 20 Bogen, in der die oben erwähnten Themenkreise je einen größeren Abschnitt bilden.

2. Handbüchern mit Datenbanken

a) Die statistischen Daten der kleinen Nationen in Ostmitteleuropa (Kreis der Datensammlung soll zur Diskussion gestellt werden).

b) Die historische Chronologie der Minderheiten in Ostmitteleuropa. 1920–2002.

c) Die Bibliographie der sich mit den kleinen Nationen in Ostmitteleuropa beschäftigenden historischen und politischen Fachliteratur.

3. Konferenzen

Die Veranstaltung von **?**brain stormings**/?** vor der Ausarbeitung der einzelnen Themenkreise sowie von internationalen Fachkonferenzen nach Abschluss der Ausarbeitung.

4. Sonstige Publikationen

Die Bücherreihe des Europa Instituts Budapest (**?**Begegnungen**/?**) veröffentlicht die Ergebnisse der Arbeiten regelmäßig auf Deutsch und Englisch. (**?**Begegnungen**/?** bzw. **?**Crossroads**/?**)