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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 7:9–25.

FERENC GLATZ

Vergleichende Untersuchung der Länder der sowjetischen Zone

Vorschlag zur Thematik einer Konferenzreihe

 

Erster Themenbereich
Von der Besatzungszone zum „System des Sozialismus”

a) Importiertes politisches Modell. Die von 1948 bis 1990 bestehende, als „sozialistische Länder Europas” bezeichnete staatliche und politische Gemeinschaft wies ein charakteristisches Spezifikum auf: in den von der Sowjetunion nach dem 2. Weltkrieg befreiten und besetzten Gebieten hat man ein auf derselben ideologischen Einstellung basierendes Politsystem eingeführt. Eine weitere Eigenheit des Systems: seine Herausbildung war nicht das Ergebnis einer organischen Entwicklung der einzelnen Länder bzw. der Region, sondern es handelte sich um ein aus der Sowjetunion importiertes politisches Modell. Und das System wird von der lokalen Gesellschaft bis zum Schluss als ein von der Sowjetunion im Ostblock eingeführtes Herrschaftssystem angesehen.

Frage: inwiefern hat das Spezifikum dieses Politsystems – dass es nämlich als Besatzungszone und eine historische Anerkennung wünschende Gesellschaftsformation funktionierte – die Geschichte des Blockes als Gesamtheit determiniert?

b) Das Verhältnis der Sowjetunion zu den einzelnen Staaten. Der Standpunkt der Sowjetunion hat grundlegend die in den einzelnen Staaten vor sich gehenden Entwicklungen sowohl in politischen Institutionen als auch in der Wirtschaft oder auf weiteren Ebenen des gesellschaftlichen Lebens beeinflusst, was sogar derzeit allgemein bekannt war. Nicht detailliert bekannt jedoch sind die Beziehungen der Sowjetunion zu den einzelnen sozialistischen Ländern. Anfängliche chronologische Datenaufarbeitungen weisen nur akzidentiell nach, auf welchen Gebieten und in Aktionen welchen politischen Charakters die Moskauer „Handsteuerung” zur Geltung kam. Ebenfalls nur vage bekannt ist, in welchem Maße sich die unmittelbare Führungsrolle Moskaus zwischen 1945 und 1990 wandelte.

Die direkte Anleitung kann wahrscheinlich auch für die Jahrzehnte nach 1949 in Etappen unterteilt werden, denn sie war abhängig von der internen Entwicklung in der Sowjetunion (die Periode von 1949–1968 zum Beispiel weist ungezwungenere Führungsformen auf, für 1968–1958 ist die Politik des Status quo charakteristisch, und der Abschnitt von 1985–1990 führt zur Lockerung der Fesseln direkter Anweisungen).

Wir haben keine präzisen Kenntnisse, in welchem Lande und auf welchen Verwaltungsgebieten die Politik der Direktlenkung zur Geltung kam. (Anfängliche vergleichende Forschungen weisen darauf hin, dass sie sich in gewissen Perioden nicht allein auf das politische Institutionssystem auf totalitäre Weise erstreckte, sondern dasselbe außerdem für Gebiete der Wirtschaft und kultureller Propaganda galt (1949–1953). Teilweise verdrängt wurde sie nach 1968 zur Zeit der Politik des Status quo aus dem kulturell-wissenschaftlichen und dem ideologischen Leben, ebenso wie aus der Wirtschaftsführung. Betreffs einiger Länder (so Polen, Ungarn, Rumänien) ließ die Sowjetunion während bestimmter Perioden hinsichtlich der „externen Abschottung” Nachsicht walten.)

Frage: inwiefern sind einzelne Aktionen des lokalen gesellschaftlich-politischen Lebens der direkten Anleitung der Sowjetunion zuzuschreiben? (Z. B. Tempo der Kollektivierung, Prozesse, Gesetzwidrigkeiten, kulturell-ideologische „Übereinstimmungen” usw.)

c) Internationaler und innenpolitischer Spielraum der einzelnen Staaten. Anfängliche Vergleiche weisen auf folgendes hin: zur Zeit der Lockerung der direkten Führungsrolle der Sowjetunion (nach 1961) hat man eventuelle souveräne politische Spielräume einzelner Staaten und Parteien gemäß der regionalen Lage der Staaten und ihrer Bedeutung für die militärisch-strategischen Pläne der Sowjetunion festgelegt. (Voraussichtlich stand innerhalb dieses Blockes den Frontländern wie Polen, Tschechoslowakei und Ungarn ein außenpolitisch eingeschränkterer Spielraum zu, als zum Beispiel Rumänien, das keine Grenze zum Westen aufwies. Erste Vergleiche weisen nach: die Konflikte zwischen den beiden Globalsystemen bzw. Entspannungsperioden haben die Bestrebungen nach Selbständigkeit einzelner osteuropäischer Staaten und Parteien bestimmt und beeinflusst (unterstützt oder behindert). Unter anderem hat sich die Neutralität Österreichs und später die Entfaltung der neuen Ostpolitik Westdeutschlands (1970) auf die Nachbarn in Richtung Lockerung der Gebundenheit ausgewirkt. Im selben Maße bestimmend waren für die einzelnen Länder – so z.B. Ungarn und Bulgarien – und ihren Spielraum Spannung oder Entspannung in den Beziehungen Jugoslawien–Sowjetunion, China–Sowjetunion.

Einer gesonderten Überprüfung bedarf der Problembereich außen- oder innenpolitischer Souveränität. Oftmals fällt auf, dass während einzelne Länder – wie z.B. Rumänien – eine umfassendere Selbständigkeit als andere Staaten in der Außenpolitik erringen, sie dem innenpolitischen Modell der Sowjetunion weiterhin nahestehen. Andere Länder dagegen, wie Ungarn oder Polen nach 1980, erkämpfen sich neben der praktisch vollkommenen Aufgabe außenpolitischer Souveränität eine relativ bedeutende innenpolitische Selbständigkeit. Ein ganz spezifischer Fall ist die Situation der DDR. Der Spielraum der deutschen politischen Elite und Staatsführung ist stark eingeschränkt durch jenen Fakt, dass die DDR die Folgen des Erbes der Kriegsverantwortung zu tragen hatte. Darüber hinaus war sie das am meisten exponierte Frontland an der Grenze zum stärksten westeuropäischen Staat, der BRD. Außerdem verstärkte sich die jahrhundertealte Antipathie dem „Deutschtum” gegenüber, und das nicht allein in Russland sondern gleichfalls in anderen slawischen Gesellschaften (Polen, Slowakei).

Frage: wovon hing der Spielraum einzelner Staaten im Rahmen des Sowjetsystems ab? In welchem Maße haben strategische Gesichtspunkte der Besatzungszone diesen Spielraum bestimmt? In welchem Umfange hat die politische Elite der jeweiligen Länder sich bietende Möglichkeiten zur Ausweitung des Spielraumes genutzt? Inwiefern war man „freiwillig” oder aus Gemeinschaftsinteresse der Führung in Moskau gegenüber liniengetreu?

d) Regionale Integration und das sowjetische Lager. Regelmäßig gab es in der ostmitteleuropäischen Region ab dem 14. Jahrhundert politische bzw. wirtschaftliche oder strategische Integrationsbestrebungen. (Wir schließen selbst die Nachweisbarkeit jener Tatsache nicht aus, dass ein Grund für den langfristigen Bestand des Habsburgerreiches der Fakt war: das Territorium wurde von aus ökonomischen und strategischen Gesichtspunkten aufeinander angewiesenen Mikroregionen gebildet.) Integrationsbestrebungen in zwei Richtungen können nachgewiesen werden. Zum einen die Integration deutscher Territorien mit den östlichen Randgebieten der westlichen Kultur und zum anderen die Herausbildung eines Nord-Süd-Blockes ohne das Deutsche Reich. Im Verlaufe der 45-jährigen Geschichte der sowjetischen Besatzungszone ist man darum bemüht, eine von den vorangehenden diametral abweichende Integrationstendenz dritten Typs zu gestalten, die Randgebiete der westlichen christlichen Kultur dem Kulturbereich der Sowjetunion bzw. des russischen Pravoslawismus unterzuordnen. Auch von diesem Gesichtspunkt her ist also die Geschichte der verschiedensten Integrationsorgane (Warschauer Vertrag, RGW usw.) bzw. die Methode „neuen Typs” der Integration unter die Lupe zu nehmen. Mittels der zentralistischen Leitungstechnik der Sowjetunion nämlich wurden mit der Integration vorrangig politische und ideologische Ziele verfolgt. (Mit anderen Worten: es wurden im Vergleich zu in anderen Teilen der Welt dort gleichzeitig erfolgenden Integrationsprozessen vollkommen entgegengesetzte Integrationstechniken angewandt.) Außerdem kam noch hinzu, dass mit Hilfe der wirtschaftlichen und militärischen Integration die unmittelbare Abhängigkeit von der Sowjetunion gesichert wurde (Rohstoffe, Rüstungsindustrie).

Frage: inwiefern stimmten die von der Sowjetunion erzwungenen Integrationsbestrebungen mit den tatsächlichen Integrationsinteressen der in dieser Region existierenden Gesellschaften überein und in welchem Maße konnten im Rahmen dieser Integration wirtschaftliche Interessen der einzelnen Staaten zutage kommen?

 

Zweiter Themenbereich

Nationale Traditionen und proletarischer Internationalismus

a) Der Ostblock, das „sozialistische System” und traditionsgemäße nationale Konflikte. Die sowjetische Integrationseinheit kam in einer solchen Region Europas zustande, in der bereits vom lo. Jahrhundert an eine in ethnischer Hinsicht gemischte Gesellschaft lebte. Darüber hinaus war diese Region ab dem 13. Jahrhundert Schauplatz kontinuierlicher in den Osten und Westen gerichteter ethnischer Migrationen. Die sich hier herausbildenden regionalverwaltungsmäßigen (staatlichen) Formationen haben nicht jene entnationalisierenden Programme verwirklicht, welche bei den bedeutenden europäischen Staaten auf der Tagesordnung standen. Einzelne ethnische Gruppierungen haben sowohl in individueller als auch kultureller Hinsicht bis ins 20. Jahrhundert ihre ethnische Autonomie beibehalten. Diese Region war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Brandherd des Ausbruches zweier Weltkriege, wobei den ethnischen Gegensätzen die entscheidende Bedeutung zukam.

Die Sowjetunion wünschte dieses von ethnischen Feindlichkeiten durchdrungene Territorium in einem über den Nationen stehenden, genauer gesagt in einem „brüderlichen Völkerverband” im Zeichen der sozialistischen Ideologie nationenlos zu vereinen. Das von der Sowjetunion eingeführte „sozialistische System” erschien den Gesellschaften als eine Ablehnung nationaler Traditionen.

Ein Spezifikum der sowjetischen Integrationspolitik war auf dem Gebiet der Staatsverwaltung die Festigung nationalstaatlicher Grenzen. Im Westen Europas hat die ökonomisch-technische bzw. kulturelle Integration eine Lockerung der Staatsgrenzen sowie die Bewegungsfreiheit der Staatsbürger mit sich gebracht, damit sozusagen einen „sanften Kosmopolitismus”. Gleichzeitig führte innerhalb des sozialistischen Lagers die Befolgung des Staatsaufbaus sowjetischen Typs zur Kräftigung des nationalstaatlichen Systems und zur Isolierung. Der Import dieses „Staates sowjetischen Typs” konservierte traditionelle nationale Vorurteile und Stereotypien.

Frage: inwiefern trug der „sozialistische Internationalismus” dazu bei, dass gerade in diesem Kriegsherd es den hier lebenden Völkern nicht gelungen war, nationale Gegensätze aufzuarbeiten?

b) Verstärkung der Schutzfunktionen des Nationalismus. Bei der Geschichte der kleinen Nationen Ostmitteleuropas handelt es sich auch kontinuierlich um einen Kampf für nationale Unabhängigkeit von den in die Region vorstoßenden Großmächten (Deutsches Reich, Osmanisches Reich, Russland). Obwohl die Sowjetunion als Befreier in dieser Region erschien, hat sie sich doch als Besatzermacht aufgeführt und damit bei den hiesigen Völkern den sich seit Jahrhunderten herausbildenden Schutzmachtnationalismus verstärkt. Er wurde zu einem der dominanten Faktoren im Allgemeindenken. Während der Periode des Kalten Krieges (1947–1961) war auch die sowjetische Propaganda darum bemüht, Traditionen der Nationalbewegung „fremden Unterdrückern” gegenüber für sich zu nutzen. Unter „fremden Unterdrückern” verstand man in erster Linie den „deutschen Imperialismus” und das Osmanische Reich sowie in übertragenem Sinne die Einmischungsbestrebungen des amerikanischen Imperialismus. Es trat der gewisse Bumerang-Effekt auf: der traditionelle Unabhängigkeitskampf erhielt nach 1948 tatsächlich eine sowjetfeindliche Auslegung. Nationale Gepflogenheiten der Besatzung gegenüber kamen in praktisch sämtlichen politischen Konflikten der Region zur Geltung (1956: Polen und Ungarn, 1968: Tschechoslowakei, 1980: Polen).

Frage: inwiefern haben militärische Besatzung und Beibehaltung des direkten Moskauer Führungssystems in der Region dazu beigetragen, dass beim Zerfall des Lagers jahrhundertealter Nationalismus als eine „moderne” Ideologie in Erscheinung treten konnte?

c) Die Epoche neuer Nationalismen. 1961–1990. Gleichzeitig mit der Lockerung der direkten Moskauer Anleitung des sozialistischen Lagers sowie der relativen innenpolitischen Selbständigkeit einiger Länder erwachten gewisse Elemente des nationalen Identitätsbewusstseins aus der Zeit vor 1945 erneut zum Leben. Jene traten als Kritik an der unverhohlenen Diktatur des Proletariats in Erscheinung. Die Deklaration nationaler Souveränität zeigte sich jedoch nicht auf dem Gebiet der politischen Ideologie, sondern in der Geschichte reflektiert, in historisierender Manie. Es konnte keine Formulierung auf dem Schauplatz der Alltagspolitik erfolgen, damit ergab sich die „Einnistung” in den nationalen Mythos. Dies sind jene Jahrzehnte, da von Polen bis Bulgarien eine Neueinschätzung der nationalen Geschichte vorgenommen wird und neu formuliert hat man atavistisch nationalistische Schlagworte, bis hin zur Urgeschichte oder mit Gültigkeit für die Jahrhunderte des frühen Mittelalters. (Das Sarmaten-Frage in Polen, der Mythos des Mährischen Reiches in der Slowakei, die Verwandtschaft von Hunnen und Magyaren und die mittelalterliche Großmacht der Magyaren in Ungarn, die dakorumänische Theorie in Rumänien, die Thraker-Theorie in Bulgarien).

Eine weitere, ständig wiederkehrende Thematik dieses neugeborenen nationalen Kultus ist das ungelöste Minderheitenproblem und jener Konflikt, der auf die Grenzfestlegungen von 1919/20 bzw. 1946 zurückzuführen ist. Das Sowjetsystem war nicht dazu in der Lage, umfassende Konflikte der Region zu lösen, jenen Fakt, dass nationale Siedlungsgebiete und regional-verwaltungsmäßige (Staats-)Grenzen nie übereinstimmten. Gefordert jedoch wurde eine internationalistische Ideologie, bestehende Probleme hat man unter den Teppich gekehrt und damit das historisierende national-politische Denken gefördert.

Frage: in welchem Maße hatten die Neonationalismen zur Folge, dass die sich in den 80er Jahren in der Region bemerkbar machenden Oppositionsbewegungen sich unter anderem zum Ziel stellten, nationale Traditionssysteme aus der Zeit vor 1945 neu zu beleben und teilweise die Grenzen von 1946 zu überprüfen?

 

Dritter Themenbereich
Das sozialistische Lager, strategische Kräfteverhältnisse und die Verlagerung der Zentren der Weltwirtschaft

a) Rüstungswettbewerb und politische Ideologie.

Im Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den Westmächten sind zwei Perioden markant voneinander zu unterscheiden – jene des Kalten Krieges von 1947–1961 sowie die Periode des friedlichen Nebeneinanders der beiden Globalsysteme von 1961–1990. Bibliotheken könnten mit jener historischen Literatur gefüllt werden, die in erster Linie auf die Zeit des Kalten Krieges eingeht (wobei hinsichtlich der Frage der Periodengrenzen nicht einmal annähernd Übereinstimmung herrscht). Für die Geschichte der sozialistischen Länder scheint das Jahr 1961 das entscheidende zu sein, zum einen wegen des Manifestes des 22. Parteitages der KPdSU über das friedliche Nebeneinander eben der beiden Weltsysteme sowie aufgrund der gleichzeitigen Verdrängung des chinesischen Einflusses auf den Kalten Krieg.

Zeitweise ist die Sowjetunion in der Weltraumforschung und Raketentechnik den Westmächten überlegen, die (wie sogar der Vatikan) eine neue Strategie ausarbeiten und sich auf einen langfristigen Status quo einrichten. In der Sowjetunion und in den meisten sozialistischen Ländern setzt die Kritik an den unverhohlen diktatorischen Methoden ein.

Zur selben Zeit erstarken die Positionen der Sowjetunion auf den antikolonialistische Gefechte führenden Kontinenten, vor allem aber in Afrika. Es hat den Anschein, als würde der Sozialismus sowjetischen Typs sich zum Globalsystem ausweiten.

Diese zweite Periode gewährt einigen Staaten die Gelegenheit, in gewissen Bereichen eine souveräne Politik auszuüben. Anfängliche Vergleiche weisen bereits Differenzen nach: ein jedes Land interpretiert die in den geopolitischen Positionen der Sowjetunion eintretenden Veränderungen anders. Die DDR und die Tschechoslowakei üben eine rege außereuropäische Politik aus. Polen und Ungarn richten ihre Aufmerksamkeit auf interne Reformen und den Ausbau des wirtschaftlich-kulturellen Beziehungssystems zu den kapitalistischen Ländern.

Frage: inwiefern sind in der Geschichte der einzelnen Länder die Spuren des weltweiten Kalten Krieges nachzuweisen und welche sind diese? (Konzentration auf Schwer- und Waffenindustrie; Vorherrschaft zentralisierter Staatsverwaltungsmethoden; Abschottung vom Ausland; innenpolitische „Wachsamkeit” usw.)

b) Ökonomisch-technischer Wettbewerb und Ideologie. Der Aufschwung der Weltwirtschaft 1949–1973 ließ seine Auswirkungen auch in dieser Region Europas verspüren. Die Sowjetunion – und mit ihr die sozialistischen Länder – halten den Konsum in Schranken, forcieren mittels des absoluten Staatseigentums die Entwicklung des militärischen und schwerindustriellen Potentials. Im Ergebnis dessen kommt es zwischen 1957 und 1961 zum militärischen Gleichgewicht und zur vorläufigen Überlegenheit in der Weltraumforschung. Es scheint zwischen 1961 und 1973, als würden die sozialistischen Länder dem technisch-ökonomischen Wettbewerb standhalten können. Wenn auch auf niedrigerem Niveau, so werden doch die notwendigsten Gebrauchsartikel produziert. Im letzten Abschnitt der „Eisenepoche” hat das auf der zentralisierten Staatsverwaltung basierende Sowjetsystem sich in gewissen Bereichen der liberalen Marktwirtschaft gegenüber sogar als wettbewerbsfähig erwiesen.

Die Ölkrisen von 1973 und 1979 dann zerschmettern das Kräftegleichgewicht und mit der Revolution auf dem Gebiet der Informatik gelangt die westliche Marktwirtschaft zu einem uneinholbaren Vorsprung in den Bereichen Produktionsorganisation, Markterschaffung, Weltraumforschung und Waffentechnik.

Frage: in welchem Maße haben die einzelnen Länder die technisch-wirtschaftliche und wissenschaftliche Blockade des Ostblocks durchbrochen? In welchem Umfange ist es im letzten Jahrzehnt des Bestehens des Systems gelungen, mit den in der Welt voranschreitenden technisch-wissenschaftlichen Umwälzungen Schritt zu halten und sich auf die ökonomisch-technische Modernisierung vorzubereiten? (Computersysteme, Landwirtschaft, erneute Mechanisierung, Umorganisierung der Produktionslenkung usw.)

c) Die Umgruppierung der Zentren des Weltmarktes. Die internationale historische Literatur erachtet die Umlagerung der Weltmarktzentren als einen der Gründe für den Zerfall das Sowjetsystems.

Der mit den Ölkrisen einsetzenden Rezession versuchen die osteuropäischen sozialistischen Länder (ebenso wie in anderen Gegenden der Welt zustande kommende staatssozialistische Systeme) mittels der Aufnahme von Krediten zu begegnen. Das Ziel ist die Beibehaltung der Stabilität des politischen Systems, die Aufrechterhaltung der Idee eines krisenfreien sozialistischen Systems. Anlässlich der ersten Ölkrise 1973 schienen noch die umfassenden Rohstoffvorräte der Sowjetunion das Gleichgewicht gewährleisten zu können. Nach der zweiten Energiekrise von 1979 jedoch erschien die Beibehaltung des Systems allein mit Hilfe einer Umgestaltung möglich (Perestroika). Die starre politische Struktur jedoch war nicht in der Lage, Normen der Marktwirtschaft zu integrieren. (Davon zumindest zeugen erste Studien über die Wirtschaftsgeschichte der Sowjetunion und einzelner Länder.) Weniger bekannt ist uns, welche entscheidenden Veränderungen die Umwälzungen auf den Gebieten der Informatik und Mikroelektronik im Rahmen der westlichen Gesellschaften hinsichtlich des Lebensgefühls und der Mentalität mit sich brachten. Immer öfter ist davon die Rede, dass die Revolution der Informatik und des Arsenals der Kenntnisvermittlung einen neuen Individualismus zur Folge hatte, welcher in der Denkweise der aktivsten Generationen zur Konfrontation mit dem Ideengut des Kollektivismus führte.

Frage: Inwiefern haben die erneute technische Revolution und das Vordringen der daraus folgenden neuen Weltanschauung auch in den sozialistischen Ländern die noch unversehrten Brückenpfeiler der politischen Ideologie unterspült? Welche Differenzen können hinsichtlich der Adaptation von Errungenschaften der Revolution der Informatik bezüglich der einzelnen sozialistischen Länder nachgewiesen werden?

 

Vierter Themenbereich
Das Staatssystem der Diktatur des Proletariats

a) Das Erbe der bürgerlichen Demokratie. Die sich in den ersten Jahren der Sowjetbesatzung (1945–1948) herausbildenden bürgerlichen Demokratien basierten, wie bekannt, auf den heimischen traditionell demokratischen Kräften. Sich auf antifaschistische politische Kräfte stützend und in erster Linie Moskauer kommunistische Tendenzen unterstützend hat man aber bereits ab 1945 bürgerliche demokratische Kräfte in den Hintergrund gedrängt. Es mangelt an einem Vergleich dahingehend, über welche Macht die lokalen traditionellen demokratischen Parteien verfügten (bürgerliche, bäuerliche bzw. sozialdemokratische), und in welchem Maße dies die sowjetische „Salamitaktik” hemmte oder überhaupt beeinflusste. (Man bildet ein sogenanntes linkes (Koalitions-)Bündnis der „antifaschistischen” und „demokratischen” Parteien, in dem die noch in der Minderheit befindliche Kommunistische Partei mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht seine Koalitionspartner aufreibt.) Diese Salamitaktik hat zur Folge, dass bis 1949 schrittweise (Scheibchen für Scheibchen) bürgerlich-demokratische Politkräfte beseitigt (abgeschnitten) werden. Nach und nach werden einzelne Elemente des Sozialismus sowjetischen Typs übernommen. (Erhöhte Bedeutung des Staatseigentums, ideologisch-kulturelle Kontrollinstitutionen, kontinuierliche Minderung der Rolle des Parlamentes usw.)

Frage: Kann für den Prozess der Aufhebung bürgerlicher Demokratien ein „gemeinsames Rezept”, ein gemeinsamer „Etappenplan” nachgewiesen werden? Welche bedeutende Rolle spielten, in welchem Lande, die Moskowiter Kommunisten bzw. das Kontrollorgan der Verbündeten? (Welches sich wie bekannt in einigen Ländern direkt in parteipolitische Rivalitäten einmischte.)

b) Die Grundprinzipien der Diktatur. Das Herrschaftssystem der Diktatur des Proletariats wurde 1948/49 eingeführt. In sämtlichen Staaten der Region verbirgt sie sich hinter unterschiedlichen Bezeichnungen – Volksrepublik oder später dann Sozialistische Republik oder im Falle Deutschlands hinter der Benennung Demokratische Republik. Von da an sprechen wir zu recht von der Proletardiktatur. Gewisse Merkmale des Herrschaftssystems wurden bereits derzeit von den Ideologen der Diktatur selbst formuliert, andere nach 1953 von den Politikern der sogenannten Reformländer, und zwar als Kritik des Stalinismus.

(1. Die Übermacht der Exekutive innerhalb des Staates u.a. auf dem Gebiet der Gesetzgebung und damit die Unterordnung parlamentarischer demokratischer Institutionen gegenüber der Exekutivmacht bzw. der einzigen Partei. 2. Abbau der parlamentarischen Demokratie, Gestaltung des Einparteiensystems. 3. Besitzmonopol des Staates bzw. etatistische Wirtschaftspolitik der Plananweisung. 4. Abschottung von den Produktions- und Politsystemen außerhalb der Besatzungszone auf der Grundlage antikapitalistischer und nationalstaatlicher Prinzipien. 5. Einschränkung der Meinungsfreiheit, politische Kontrolle der Institutionen des geistigen Lebens, in erster Linie der Medien und des Bildungswesens, nationalstaatliche Kontrolle der Bewegungsfreiheit der Bürger.)

Frage: inwiefern beruht dieses politische Herrschaftssystem auf in der Region seit zwei Jahrhunderten immer wiederkehrenden etatistischen politischen Traditionen?

c) Abbau des Herrschaftssystems der Diktatur des Proletariats. Hin und Her. In der Entwicklung der Staatsorganisation des Ostblocks können wir grob vier Abschnitte unterscheiden: 1. 1945–1949, Bürgerliche Demokratien und ihr Abbau 2. 1949–1961, Ausbau der Diktatur des Proletariats 3. 1961–1984, Versuch zum Ausbau des sozialistischen Weltsystems 4. 1985–1991, Umgestaltungsversuch (Perestroika) und der Zerfall.

In Anbetracht der immanenten Entwicklung des Systems bieten die 45 Jahre Geschichte aber auch andere chronologische Grenzlinien. Nach dem Tode Stalins 1953 setzt nämlich in der Sowjetunion ein interner Machtkampf ein, so wie in allen Staaten des sozialistischen Lagers. Der Machtkampf basierte wahrscheinlich auf konzeptionellen Konfrontationen. Auf der einen Seite standen – grob formuliert – die Verfechter der Basisinstitutionen der Proletardiktatur, auf der anderen Seite die Anhänger eines „humanen Sozialismus”. Die Geschichte der sozialistischen Länder 1953–1990 kann als ein ständiges Hin und Her bezeichnet werden. Die einzelnen Etappen: 1953–1956 Sieg der Reformkräfte. 1957–1961 Überhandnahme der Strömung der Diktatur des Proletariats und der Anhänger Chinas. 1961–1968 Erneuter Sieg der Reformkräfte. 1968–1984 Erstarrter Dualismus. 1985–1991 Reformkräfte setzen sich durch.

Frage: Welche Rolle spielte in den einzelnen Ländern das Hin und Her und inwieweit haben sich die Veränderungen bei den internationalen Kräfteverhältnissen dabei auf lokaler Ebene ausgewirkt? (Die Abschnitte des Hin und Her weisen nach 1961 je nach Land Differenzen auf. So ist 1980 für Polen, 1974 für Ungarn, 1965 für Rumänien ein Meilenstein.) Weitere Fragen: Hätte man das System tatsächlich reformieren können? Hat im sowjetischen Einflussgebiet die Konzeption des „humanen Sozialismus” eine reale Alternative dargestellt? Waren beide miteinander vereinbar? Inwiefern war der Zerfall das Ergebnis interner Zwistigkeiten und der Reformunfähigkeit und in welchem Maße Folge der geopolitisch-wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse?

d) Das System der politischen Vertretung. Besondere Aufmerksamkeit widmet die Forschung in allen Ländern nun bereits der „einzigen Partei”, die im Institutionssystem der Diktatur des Proletariats die herausragende Rolle spielte. (In den einzelnen Ländern mit jeweils unterschiedlicher Intensität. In den Reformländern Polen und Ungarn ist ein Spezifikum, dass die Partei bemüht ist, ihre führende Rolle mit außerparteiischen, das System jedoch anerkennenden anderen Kräften zu teilen.) Ziemlich viel ist uns über die organisatorische Entwicklung der Parteien bekannt, wenn auch nicht auf dem Niveau des Vergleiches, ebenso betreffs der anderen Vertretungsorgane – der Gewerkschaften, der Volksfront usw.. Wenig wissen wir darüber, wie sich diese Parteien nach 1961 zumindest in den Reformländern Polen, Ungarn sowie teilweise in der Tschechoslowakei und Bulgarien zu pluralistischen Institutionen, sogenannten Sammelparteien gestalten. Und in welchem Maße sind in jenen schon die Strömungen oder Keime des späteren Mehrparteiensystems ab den 80er Jahren enthalten, wie z.B. sozialdemokratische, bürgerlich-radikale, christlich-konservative usw.?

Gesondert einzugehen ist auf die Entwicklung der Nomenklatur, die nach 1961 nicht unbedingt mit der Parteielite übereinstimmte. (Welche Rolle spielten die „außerparteiischen Bolschewiken”? Wie entfalten sich innerhalb der Partei die Tendenzen der Kommunisten, Reformkommunisten, liniengetreuen Sozialisten, Reformsozialisten und Pragmatiker?)

Frage: Welche Entwicklung geht im Einparteiensystem und überhaupt innerhalb der Interessenvertretung in den einzelnen Staaten vor sich? In welchem Zusammenhang steht diese Entwicklung mit dem im gesamten politischen Lager und auch in den einzelnen Ländern ablaufenden Hin und Her.

e) Siedlungsstruktur und Staatsverwaltung. Die sich in der Sowjetunion herausbildende Technik der Staatsorganisation ging von politischen Erwägungen der Diktatur aus. Aufgrund dieser politischen und sicherheitstechnischen Überlegungen – interne und externe Sicherheit ebenso betreffend – hat man den Organen der Staatsverwaltung herausragende politische Bedeutung zugemessen, dem Regionalnetz und den Zentralen gleichermaßen. Im Verlaufe von 45 Jahren hat dies das Organ der Orts- und Regionalverwaltung bestimmend beeinflusst.

Mit Ausnahme von Deutschland weist die jahrhundertealte Tradition der Region die monozentrische, d.h. auf die Hauptstadt orientierte Siedlungsstruktur auf. Der Sozialismus sowjetischen Typs hat diese Hauptstadtzentralisation zum Teil verstärkt und zum anderen bereits bestehende regionale mikroökonomische und mikrokulturelle Zentren verkümmern lassen.

Frage: In welchem Maße haben Siedlungs- und Verwaltungspolitik dazu beigetragen, dass selbst geringfügige Traditionen demokratischer Selbstverwaltungen beseitigt werden? Inwiefern ist diese Tradition ein Hindernis für ab den 80-er Jahren erstarkende regionale Wirtschafts- und Kulturorganisationen?

 

Fünfter Themenbereich
Gemeinschaftsbesitz und Plandirektive

a) Staatseigentum, genossenschaftliches Eigentum, Privateigentum. In allen Ländern des sozialistischen Lagers wurden die Besitzverhältnisse dem politisch- ideologischen Willen unterworfen. Es war Bestandteil politischer Stellungnahmen einzelner Parteien, welchen Standpunkt man hinsichtlich der Definition der Besitzhierarchie bezog. (Staatseigentum und genossenschaftliches Eigentum – beide als Gemeinschaftsbesitz, oder privates und persönliches Eigentum.)

In Ungarn zum Beispiel war eine Folge des Sieges der Reformkräfte, dass man deklarierte: das genossenschaftliche Eigentum bedeutet einen ebensolchen Besitz sozialistischen Inhaltes, wie das Staatseigentum (1971). Zu den Grundprinzipien der Diktatur des Proletariats gehörte es, dass Vorrang bzw. Hochwertigkeit des Staatseigentums betont wurden. Bekräftigt wird dieser Fakt dadurch, dass nach dem zweiten Weltkrieg in Westeuropa die Verstaatlichung einiger Sektoren der Wirtschaft erfolgt. (Tatsache ist derzeit weiterhin, dass an der Peripherie der Weltwirtschaft ab 1960 unabhängig werdende Staaten mittels der Staatsmacht auf dem Gebiet der Ökonomie ihren Rückstand von mehreren Jahrzehnten einzuholen versuchten.)

Frage: Wie gestaltete sich in den einzelnen sozialistischen Ländern die Eigentumshierarchie? In welchem Zusammenhang stand sie mit der Auffassung der heimischen Elite über das politische Herrschaftssystem?

b) Präferenzen der einzelnen Produktionszweige. Aus der historischen Literatur ist bekannt, welche Rolle für die Entwicklung der Sowjetunion nach 1922 die wirtschaftliche Isolation spielte, der Ausbau einer eigenen Basis der Schwerindustrie, die Vernachlässigung des Versorgungssektors (Leichtindustrie, Landwirtschaft). Bekannt ist weiterhin in groben Zügen: die Sowjetunion hat dieses den eigenen Gegebenheiten angepasste Modell als ein „sozialistisches Modell” auch in die besetzten Staaten exportiert.

Frage: In welchem Umfange waren die Staatsmänner der einzelnen Länder in der Periode der relativen Erringung der Selbständigkeit (nach 1961) in der Lage, diese sowjetischen Präferenzen abzulösen bzw. sie zu ergänzen mit wirtschaftlich-strategischen Interessen, die den heimischen Gegebenheiten auf dem eigenen Territorium entsprachen? (Wie z.B. in Bulgarien, Ungarn, Polen die Landwirtschaft, die Konservenindustrie usw.)

c) Wirtschaftspolitische Führungstechnik. Die Fachliteratur hat bereits exakt den Mechanismus der Plandirektiven dargelegt.

Frage: In welchem Gegensatz stehen wirtschaftsgeographische, klimatische und Produktionsbedingungen einzelner Länder zu dem der Politik unterworfenen Produktionssystem, zu dem den Interessen der Sowjetunion untergeordneten Erzeugnisprofil? Wie wirkte sich der Bruch mit dem Weltmarkt auf die Gestaltung der Produktstruktur der einzelnen Länder aus?

d) Gesellschaftliche Auswirkungen der ökonomischen Veränderungen. Das ausschließliche Staatseigentum trug dazu bei, dass Kleingewerbe und Einzelhandel zum Teil nicht mehr existierten. Überhaupt wurden die Zweige der Versorgung vernachlässigt. (Daran änderte die gleichberechtigte Anerkennung des genossenschaftlichen Besitzes kaum etwas.) Die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft beseitigte mittel- und kleinbäuerliches Eigentum. Die Rezession dieser Sektoren hatte die Vernichtung des städtischen und dörflichen Bürgertums zur Folge. Da in diesen Bereichen die qualifiziertesten und besten Kräfte der Werktätigen, der Bauern und Händler tätig waren, ging dieser Prozess selbstverständlich mit einem Niedergang der Arbeitskultur der Arbeiter- und Bauerngesellschaft einher. (Im Vergleich dazu ein ähnlicher Ablauf in der westlichen Wirtschaft: infolge der Automatisierung und Massenproduktion geht auch hier ein gewisser Bereich der Kleinproduzenten bankrott, doch passen sich jene organisch anderen Betriebsorganen der betreffenden Branche an. Es geht dort also um einen wirtschaftsinternen Prozess, während in den sozialistischen Ländern ein außerökonomischer, ein politischer Zwang die Ursache ist. Einher ging all dies darüber hinaus mit ebenfalls politische Ziele verfolgenden Kampagnen dem Kleinbürger bzw. auf dem Dorfe den Kulaken gegenüber. In den Industriebetrieben diente die Arbeiteraristokratie – d.h. in politischem Sinne die Sozialdemokratie – als Zielscheibe dieser Kampagnen.)

Frage: Welche gesellschaftlichen Veränderungen brachte in der städtischen bzw. ländlichen Gesellschaft die Abwanderung infolge der Industriekampagnen mit sich? Welche Erschütterungen hatte der eigentliche Wechsel von Agrar- zu Industriegesellschaften für die Siedlungsstruktur und das Gepflogenheitensystem der Klassen der Gesellschaft zur Folge?

e) Sozialistisches Eigentum kontra Unternehmermentalität.

Als eine der Folgen der Eigentumshierarchie der Diktatur des Proletariats bildete sich eine verzerrte und widersprüchliche Mentalität in der Gesellschaft dem bürgerlichen (individuellen) Besitz und Unternehmen gegenüber heraus. Teilweise wurde die allgemeine bürger- und privatbesitzfeindliche Stimmung entfesselt, die in dieser Region in früheren starken sozialen Spannungen verwurzelt lag und den Wunsch nach Gleichstellung zum gesellschaftlichen Reflex gestaltete. Hinter jedem Unternehmen, jedem Gewinn vermutete man ausbeutende und unmenschliche Aktionen. Als Bumerangeffekt aber kam es zur heimlichen Überbewertung des Wirtschaftsgeistes im zügellosen Kapitalismus. (Und das zu einer Zeit, da im Westen selbst die konservativen Parteien schon von der sozialen Marktwirtschaft sprechen.)

Nach 1961 setzte in einigen sozialistischen Ländern die Wirtschaftsreform ein. Die Tschechoslowakei (1965), dann Ungarn und Polen waren darum bemüht, den Marktmechanismus in die Wirtschaftslenkung einzubeziehen und ihm auch bei privatwirtschaftlichen Unternehmungen einen gewissen (minimalen) Raum zu gewähren. Diese zu den Reformprogrammen gehörenden Aktionen hatten zur Folge, dass in den Reformstaaten die Herausbildung einer Unternehmerschicht neuen Typs sowie eines Unternehmergeistes neuen Typs einsetzte. (Oftmals interne Betriebsformen des staatlichen Sektors in Form von wirtschaftlichen Arbeitsgemeinschaften usw.). Gegenwärtig wissen wir nur wenig über deren Geschichte. Wahrscheinlich bildeten diese gesellschaftlichen Elemente und jener Unternehmergeist die Basis für die politische Elite und ihre Reformpolitik sowie den Abbau des Sowjetsystems. (Die Auswirkungen sind ebenso bei den Integrationsprozessen nach 1990 zu verspüren: die Reformstaaten vermögen viel leichter die Sphäre der Mikroökonomie kompatibel zum Weltmarkt zu gestalten, als die Gesellschaften der anderen ehemals sozialistischen Staaten.)

Frage: In welchem Maße vernichtete das sowjetische sozialistische System die in der Region an sich schon schwache Mentalität der Bürger und Unternehmer und inwiefern hat es die traditionell stark paternalistische Anschauung gekräftigt?

 

Sechster Themenbereich
Der Bürger und sein Staat

a) Die umfassende soziale Betreuung. Das auf dem totalen staatlichen (gemeinschaftlichen) Eigentum basierende sozialistische System nahm die Sorgen der finanziellen und gesundheitlichen Sicherheit des „Werktätigen” auf sich. Die das System kritisierende westliche sowie die heimische oppositionelle Literatur haben die diesbezüglichen Merkmale dargelegt. (Vollbeschäftigung in Betrieben in staatlichem Besitz, vom Arbeitgeber übernommene Renten- und Krankenversicherung, Gratisbetreuung im Gesundheitswesen unabhängig von Arbeitsplatz und gesellschaftlicher Stellung, das Recht auf Wohnung.) Die Literatur hat ebenso jenen Fakt aufgearbeitet, dass der Staat als Gegenleistung für diese „totale” Sicherheit die Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Bürgers (und damit der Auslandsreisen) beanspruchte. Weniger wissen wir darüber, in welchem gesundheitlich-biologischen Zustand sich die Gesellschaften dieser Region im Vergleich zu den weiter entwickelten westlichen Gesellschaften noch vor 1945 befanden. Ebenso wenig ist uns bekannt, in welchem Maße sich die aus dem Etat gesicherten kostenfreien Dienstleistungen des Gesundheitswesens auf die Beseitigung von Massenerkrankungen in der Region auswirkten (TBC, Karies, ansteckende Krankheiten usw.).

Frage: Stimmt die Behauptung, wonach auf dem Gebiet der gesundheitlichen Massenbetreuung das staatssozialistische System eine „Revolution des Gesundheitswesens” in den einzelnen Ländern des Lagers ausführten? Gab es eine Möglichkeit, diese zweifelsohne guten Ergebnisse mittels eines etatexternen oder anderen Versicherungssystems auf dem Gebiet des Gesundheitswesens zu erreichen? Welche Stellung kommt der Beschäftigungspolitik des staatssozialistischen Systems in Vergleich zu anderen Bestrebungen des 20. Jahrhunderts zu?

b) Politische Zielstellungen, Geschlechter und Altersklassen. Das Politsystem sowjetischen Typs hat seine gesellschaftlichen Zielsetzungen in einem einheitlichen ideologischen Rahmen zusammengefasst und die aufgrund dieser Ideologie auch auf die Privatsphären des Lebens ausgeweitet. Auf ideologischer Basis war man Verfechter der weiblichen Emanzipation, die Frauen wurden in den Produktionsablauf mit einbezogen und damit aus patriarchalischen Verhältnissen befreit. Nun aber wurde die Stellung der Frau in der Gesellschaft aus praktischen Beweggründen mit ökonomischen Mitteln festgelegt. Auf bekannte Art und Weise hat man mittels der staatlichen Lohnnomenklatur Berufe sogenannter Zweitverdiener praktisch als „Frauenressort” angesehen.

Die umfassende staatliche Betreuung hat das Netz von Kinderkrippen und -gärten geschaffen, in einigen Fällen die Institution der Beihilfe zur Kinderversorgung. Die Frauen, Kinder und Jugendlichen der Gesellschaft hat man im Rahmen staatlich subventionierter Massenbewegungen organisiert. Und mit diesen Organisationen hat man sie gleichzeitig den politischen Zielsetzungen untergeordnet.

Frage: Was brachte in dieser Region das staatssozialistische System hinsichtlich der Befreiung der Geschlechter und im Interesse verschiedener Generationen mit sich? Welcher tatsächliche Fortschritt war neben der Geltendmachung ideologischer und politischer Ziele des politischen Systems im Vergleich zu den Verhältnissen der Zeit vor 1948 zu verzeichnen?

c) Das staatliche Institutionssystem der Kultur. Die Verstaatlichung des Schulsystems (d.h. das staatliche Monopol der Schulgründung), das Verkümmern von Vereins- und Zivilorganisationen ging auf die bekannte Art und Weise mit dem Ausbau eines einheitlichen staatlichen Schulsystems einher. Dasselbe trifft auf die Wissenschaft (Akademien), die Künste (staatliche Kunstvereine) und die Allgemeinbildung (staatliche Kulturhäuser), Buch- und Zeitschriftenverlage und Zentralorgane von Rundfunk und Fernsehen zu. Die Qualifizierung erfolgt gratis oder billig, aber die Informationen sind festgelegt. (Russisch als Pflichtsprache, Verkündung des sozialistischen Realismus und des Marxismus-Leninismus in Form des Katechismus, Einschränkung von Forschung und Informationsfluss usw.) So charakterisiert die Fachliteratur das geistige Leben der sozialistischen Staaten.

Wenig ist uns dahingehend bekannt, welchen tatsächlichen Fortschritt die Alphabetisierungskampagnen (z.B. in Bulgarien, Rumänien, Polen, Ungarn) für die ärmeren Schichten bedeuten. Wenig wissen wir auch darüber, wie in den Rahmen der kulturellen Institutionen – initiiert eben von der Intelligenz – die Reformbewegungen einsetzten. Welche Widersprüche ergaben sich zwischen den sogenannten „Reformparteien” und traditionellen Parteien ausgerechnet in den Bereichen von Ideologie und Kultur? (Bekannt sind die Fehden der liniengetreuen Kulturpolitik der DDR und der Tschechoslowakei mit der ungarischen und polnischen Parteiführung.)

Frage: Auf welchen Gebieten brachte das verstaatlichte kulturelle Institutionssystem im Vergleich zu der Zeit vor 1945 eine tatsächliche Hebung des Niveaus auf kultureller Massenbasis mit sich? In welchen Bereichen gestattete man eine teilweise Entfaltung der Elitekultur? Welche internationalen politischen Ziele verfolgte die Propaganda der elitären Kultur nach 1961?

d) Sport, Körperkultur und ideologische Ziele. Eine der am meisten kritisierten Eigenheiten der einstigen sozialistischen Länder ist die vollkommene Verstaatlichung des Sportes und innerhalb dessen des Vereinslebens. Das System wurde von der Literatur der Sportgeschichte nur zum Teil erörtert: der Staat übernahm die Finanzierung des Sports in den Schulen, die des Massensportes und des Wettkampfsports. Gleichzeitig aber galt der internationale Auftritt bereits ab 1949 als politische Prestigefrage. Den politisch-ideologischen Zielen entsprechend wurden auch ganze Sportzweige und Vereine umorganisiert. (Bevorteilt hat man selbstverständlich Sportvereine der Armee und des Innenministeriums, die den unmittelbaren Zwecken der Staatsmacht dienten, ebenso wie jene von politischen Institutionen und Gewerkschaften.)

Frage: Welchen Fortschritt brachte das Sowjetsystem für die sich in dieser Region bereits vor 1945 ausweitende, jedoch noch zurückgebliebene und sich nur auf eine dünne Bürgerschicht beschränkende Körperkultur mit sich? Hätte das schwach entwickelte bürgerliche und Vereinsleben ohne hervorstechende Subventionen des Etats ebenfalls die im Zustand des Gesundheitswesens der Gesellschaft eintretende Verbesserung mit sich gebracht?

 

Siebter Themenbereich
Modernisierung mit staatssozialistischen Mitteln?

a) Das sozialistische System und die Modernisierung der Produktionsorganisation. Aus der Fachliteratur ist bekannt: sowohl in Industrie als auch Landwirtschaft sowie in der Handelsbranche erfolgte eine Umgestaltung der Betriebsorgane nach zuvor erwähnten ideologischen Gesichtspunkten (Eigentumshierarchie, Wirtschaftspolitik der Plandirektiven, zentralisiertes Verwaltungssystem, Präferieren von Großmachtinteressen der Sowjetunion usw.). Auch das ist in der Fachliteratur nachzulesen, zu welchen Widersprüchen dies bezüglich der Effektivität der Produktion führte. Weniger wissen wir darüber, in welchem Wirtschaftszweig die Betriebsorganisation sowjetischen Typs „zeitgenössisch” modern war, inwiefern die Branchenpräferenzen übereinstimmten (z. B. Chemieindustrie, Leichtindustrie usw.) mit denen westlicher Betriebsorganisationsprozesse (s. Liquidierung von Kleinst -und Kleinbetrieben als organisatorische Einheit in der Landwirtschaft). In welchem Maß ergaben sich diese Formen der Betriebsorganisation als Kopien der Praxis auf nationalstaatlichen Märkten riesigen Umfanges (Sowjetunion bzw. paradoxerweise Vereinigte Staaten)?

Frage: Handelte es sich bei den betriebsorganisatorischen Veränderungen allein um die Anwendung von Methoden im Zusammenhang mit der politischen Ideologie und unabhängig von der Wirtschaft? Oder konnten die einzelnen Länder der Region bei der Modernisierung der Produktionsorganisation auch andere Wege gehen?

b) Die Infrastruktur des Zivillebens. Die Auswirkungen der in den sozialistischen Ländern erfolgenden Industrialisierung auf die Entwicklung der alltäglichen Lebensbedingungen sind in unserer historischen Literatur noch nicht aufgeführt. Anfängliche Forschungen in Ungarn weisen nach: die massenhafte Verbreitung der Errungenschaften der dritten Industrierevolution (Elektrizität, Verbrennungsmotor usw.) ist zum Teil der sozialistischen Industriealisierung „zu verdanken”. Die Elektrifizierung der Dörfer, die Wasser- und Abwasserversorgung, der Ausbau von Gasleitungen – all dies waren Voraussetzungen für die nach 1960 einsetzende explosionsartige Mechanisierung der Haushalte. Beschleunigt wurde die um 1880 einsetzende Modernisierung und der Abstand zum Vorsprung des Westens ist verringert worden. Derzeit erfährt die Melioration einen erneuten Aufschwung, ebenso wie allgemeine Programme der Landschaftsgestaltung (wie bekannt belastet mit zahlreichen Spezifika des sowjetischen Gigantismus). Der Verbrennungsmotor kommt verspätet und einseitig zu Ehren: zunächst ist er ein ernsthafter Faktor in Produktion und Massentransport (als Zugkraft, bei Lasten- und Massenbeförderung), nach 1970 dann im Personenverkehr. Das Fiasko des Pkw-Programmes scheint zu beweisen, dass dieses System nicht reformierbar ist.

Frage: Wäre wohl der Ausbau der Infrastruktur in der Zivilsphäre in diesem Ausmaße ohne staatliche Investitionen (d.h. des Etats) möglich gewesen? Inwiefern kann man Modernisierungsaktionen unter staatlicher Anleitung sowjetischen Typs mit westeuropäischen Verstaatlichungen vergleichen, die nach 1945 in denselben Sektoren vorgenommen wurden?

c) Informatik und der Zerfall des Politsystems. Die internationale Literatur formulierte bereits die eine Ursache für den Zerfall des sozialistischen Systems sowjetischen Typs: man vermochte nicht Schritt zu halten mit der sogenannten fünften Industrierevolution, d.h. mit der Entfaltung der neuen Informationssysteme. Mittels dieser Systeme wurden derartig neue Techniken der Produktionsorganisation und -lenkung gestaltet, bei denen die sozialistischen Länder weder hinsichtlich Erzeugung noch Waffenarsenal wettbewerbsfähig waren.

Wir wissen wenig darüber, warum wohl die Staaten des Ostblocks keine größeren Anstrengungen zur schnellen Entwicklung der neuen Informationssysteme unternahmen. Stimmt es, dass die Elite dieser Region in technischer Hinsicht unfähig war, die Kultur von Telefon, Computer und Fernsehen weiterzuentwickeln? Oder hatten die Cocom-Listen tatsächlich so große Auswirkungen? Überhaupt: wir wissen kaum etwas darüber, welchen Einfluss diese neue Informationskultur auf das Wandeln des Denkens ausübte. Es kam zu einer Revolution auf dem Gebiet der Beziehungen, gesellschaftliche Anschauungen erreichten globale Ausmaße („neuer Individualismus”).

Frage: Inwiefern ist der Grund für den Zerfall des sozialistischen Systems im Mangel an Elastizität des Systems an sich zu suchen? War das System unfähig, die neue Kultur von Technik und Arbeitsorganisation zu adaptieren? Konnte der Anspruch der Epoche der Informatik nicht mit den Prinzipien der als sozialistisch bezeichneten Gemeinschaftsorganisation in Einklang gebracht werden? (Das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft hätte neu formuliert werden müssen.)

d) Außereuropäische staatssozialistische Systeme. Die internationale wirtschaftshistorische Literatur hat bereits einen Vergleich der sozialistischen Länder Europas mit staatssozialistischen Systemen Afrikas und Südamerikas (1961– 1991) in Angriff genommen. Übereinstimmungen: Mangel an Kapital (oder Kapitalentzug), infolgedessen wünscht man mit Hilfe der staatlichen Verwaltung unterentwickelte Regionen zu modernisieren. (Entwicklungsdiktatur).

Weiterhin mangelt es in diesen Gebieten an einem starken heimischen Bürgertum und der Tradition bürgerlicher Demokratie. Die Fachliteratur erwähnt weiterhin: während der Konjunktur der Weltwirtschaft erzielt man in diesen „Randgebieten” äußerst rasch Ergebnisse, vor allem was die Hebung der untersten gesellschaftlichen Schichten angeht oder auch das Erreichen eines gewissen Minimalniveaus der Modernisierung.

Frage: Kann wohl aus der Geschichte der sozialistischen Länder die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die staatssozialistischen Systeme übergangsweise zur Fundierung einer Modernisierung umfassender Produktionssysteme zurückgebliebener Regionen geeignet sind? Sind sie jedoch außerstande, den durch die Revolution der Informatik mit sich gebrachten neuen Systemen und deren Anforderungen zu entsprechen? Inwiefern wirkt sich all das auf den Zerfall der sozialistischen Systeme und die Umgruppierung der Zentren des Weltmarktes – und damit voraussichtlich dann der Kulturzentren der Welt – aus?