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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 15:231–235.

VASIL GJUZELEV

Der Ungarische Staat – ein Faktor in der bulgarischen Geschichte
im 10. Jahrhundert

 

Die bulgarisch-ungarischen Beziehungen im Mittelalter sind auf tiefe Wurzeln zurückzuführen.1 Die konkreten Umrisse dieser Verbindungen sind aufgrund unstrittiger Zeugnisse aus dem Ende des 9. und aus dem 10. Jahrhundert zu erkennen. Die Ansiedlung der Ungarn in Pannonien und Transsilvanien – die sog. „Landnahme” ist die Basis, auf der ihr Staat in einem anfänglichen nachhaltigen Konflikt mit Bulgarien aufgebaut wird. Der Grund dafür ist die dauernde Bestrebung der Bulgaren fast während des ganzen 9. Jahrhunderts, die Herrschaft über die Gebiete der Mittleren Donau zu gewinnen und zu festigen, um eine unmittelbare Nachbarschaft mit dem Ostfränkischen Reich, den Kroaten, den Großherzogtümern Großmähren und Pannonien herzustellen.2 Die radikale Änderung dieser Tendenz kann auf die Expansion Ungarns zurückgeführt werden. Der bulgarisch-ungarische Konflikt in den Jahren 894–8963 führt zur Umsiedlung der Ungarn aus „Atelküzü” = Zwischenstromland in die nördlichen Regionen des Karpatenbeckens. Von diesem Raum richten sie ihren Vormarsch nach den nordwestlichen Gebieten des bulgarischen Staates an den Tälern der Flüsse Theiß, Kreisch, Mueresch und Temesch, laut Anonymus. Der Versuch des bulgarischen Herrschers (eines Verwandten Salans), den Vormarsch der Ungarn nach Süden auf der Ebene vor der Festung Belgrad aufzuhalten, endete mit einer Niederlage. Er verlangte den Frieden und erklärte, seinem Onkel Salan keine Unterstützung zu gewähren. Mit dem Friedenschluss verzichtet der bulgarische Staat eigentlich auf seine Machtgebiete zwischen Theiß und Donau.4 Diese Regelung der Herrschaft über die „neue Heimat” der Madjaren, war der erste Schritt der Wandlung des entstehenden ungarischen Staates zu einem Hauptfaktor, nicht nur in der Geschichte und dem Schicksal Mitteleuropas, sondern auch der Balkanhalbinsel.

Während die Ungarn in den früheren Jahrhunderten in der bulgarischen Geschichte eine unbedeutende, sogar marginale Rolle gespielt haben, hat sich ihre Geschichte mit der bulgarischen ab dem 10. Jh. eng verflochten. Mit ihrer Niederlassung in Pannonien und Transsilvanien – zuvor bulgarisches Hoheitsgebiet – haben sie den unmittelbaren Kontakt Bulgariens zu Mittel- und Westeuropa unterbrochen und versperrten seine direkte Verbindung mit den Ländern dieser Räume.5 Es ist wohl kein Zufall, dass sich im 9. Jahrhundert die häufigen bulgarischen Gesandtschaften am fränkischen Hof und in Italien dann im 10. Jahrhundert nur auf zwei Besuche am Hofe des deutschen Kaisers im Jahre 965 in Magdeburg und 973 in Quedlinburg beschränkten.6

Die Aussöhnung der bulgarisch-ungarischen Verhältnisse aufgrund der eroberten Gebiete führt zur Festlegung bundesgenossenschaftlicher Verbindungen beider Staaten. An der für Byzanz verhängnisvollen Schlacht bei Acheloj am 20. August 917 beteiligten sich ungarische Truppen als Bundesgenossen Bulgariens.7 Nach einem nachhaltigen Konflikt gelang es dem bulgarischen Zaren Symeon dem Großen (893–927) offensichtlich bundesgenossenschaftliche Verbindungen mit dem ungarischen Fürsten Árpád aufzunehmen. In den folgenden Jahrzehnten bildete gerade dieses Bündnis die Grundlage der aktiven Expansion Ungarns in die Richtung nach Konstantinopel im Jahre 934. Die wohlwollende Einstellung des bulgarischen Zarenreiches gegenüber den Ungarn ermöglicht ihnen den ungehinderten Verkehr auf der Via Singidunum und Via Egnatia, den bekannten Straßen zur Balkanhalbinsel: im Jahre 943 überquerten sie erstmalig Makedonien, wobei ein Trupp auch Attika und die Landspitze von Korinth erreicht hat.8 Die Bulgaren förderten offensichtlich diese Einfälle der Ungarn in das byzantinische Hoheitsgebiet, wodurch sie eine aktive Präsenz in der byzantinischen Geschichte erlangt haben.

Nach einem kurzzeitigen Frieden mit dem Byzantinischen Kaiserreich von 945 bis 959 führten die Ungarn wieder ihre vernichtenden Feldzüge in den byzantinischen Gebieten. Die Niederlage, die die Truppen des deutschen Kaisers Otto I. den Ungarn im Jahre 955 auf dem Lerchfeld beigebracht haben, verhinderte Ungarns Druck im Westen. Der Schwerpunkt der Politik Ungarns verlagerte sich allmählich nach der Balkanhalbinsel.9 In den Jahren 959, 960 und 961 fallen die Ungarn mit der Vermittlung und Unterstützung der Bulgaren von neuem in das byzantinische Gebiet ein.10 Dabei schlossen die Bulgaren und die Ungarn neuerlich ein gegen Byzanz gerichtetes Bündnis,11 das den byzantinischen Kaiser Nikephoros II. Phokas dazu zwang, in einer Botschaft an den bulgarischen Zaren Petăr (927–969) eine ultimative Bedingung zu stellen, und zwar den Ungarn den Übergang über die Donau und die Verwüstung romanischer Gebiete zu verbieten. Die Bulgaren wiesen aber diese Bedingung zurück.12 Im Jahre 968 unternahmen die Ungarn aktive Kriegshandlungen in Makedonien und Thrakien, wobei sie bis Thessaloniki vordrangen.13 Die byzantinische Diplomatie ließ mit ihrer Antwort darauf nicht warten, sie förderte die Feldzüge des Fürsten Svjatoslav von Kiew gegen die Gebiete Bulgariens, die besonders die nordöstlichen Landesteile des bulgarischen Zarenreichs und Thrakien stark verwüstet haben. Diese Feldzüge erweisen sich objektiv als Vorspiel zur Eroberung der bulgarischen Hauptstadt Groß-Preslav sowie Ostbulgariens durch Byzanz14 (971).

Als der Schwerpunkt des bulgarischen Staates nach Makedonien verlegt wurde, versuchte Zar Samuil (997–1014) um das Ende des 10. Jahrhunderts das bulgarisch-ungarische Bündnis zu erneuern, indem er seinen Sohn Gavril Radomir mit der Tochter des Fürsten Géza (971–997) vermählte. Diese Ehe blieb aber nicht lange bestehen: im Jahre 1002 verjagte der bulgarische Thronfolger aus unbekannten Gründen die schon schwangere Prinzessin.15 Allem Anschein nach haben die Ansprüche Ungarns auf die nordwestlichen bulgarischen Gebiete den Bruch der gegenseitigen Beziehungen der beiden Länder verursacht. Da der bulgarische Staat auf keine Unterstützung rechnen konnte, trat er in der für ihn maßgeblichen Beilegung des Konflikts mit Byzanz in eine weitgehende außenpolitische Isolation ein.

Die aktive Beteiligung des ungarischen Fürstentums an den Ereignissen auf der Balkanhalbinsel und an den bulgarisch-byzantinischen Beziehungen im 10. Jahrhundert verlieh ihm die Bedeutung eines neuen und wesentlichen Zarenreiches (1018–1019) und führte zur Festlegung einer gemeinsamen ungarisch-byzantinischen Grenze im Donauraum mit den Grenzorten Srem, Belgrad und Braničevo. Der Zusammenstoß der beiden Staaten in ihren Herrschaftsansprüchen über diese Orte wurde unvermeidlich. Die Balkanpolitik des Ungarischen Königreiches ist dadurch in eine neue Phase getreten.

 

Anmerkungen

1

Die wichtigsten Forschungen in der bulgarischen Mediävistik sind: Petăr NIKOV, Bălgaro-ungarski otnošenia ot 1257 do 1277 godina. Istoriko-kritično izsledvane, in: Sbornik na Bălgarskata akademija na naukite, 11 (1920), S. III–VIII., 1–200.; P. MUTAFČIEV, Madžarite i bălgaro-vizantijskite otnošenija prez tretata četvărt na X v., Godišnik na Sofijskija universitet, Istoriko-filologičeski fakultet, 31 (1935), S. 3–35.; Bălgaro-ungarski kulturni vzaimootnošenija, Sofia 1980.; Christov DIMITROV, Bălgaro-ungarski otnošenija prez Srednovekovieto, Sofia 1998.

2

Vasil GJUZELEV, Bulgarisch-fränkische Beziehungen in der ersten Hälfte des IX. Jahrhunderts, in: Byzantinobulgarica, 2 (1966), S. 15–39.

3

Ivan BOŽILOV, Kam hronologijata na bălgaro-madžarskata vojna pri tzar Simeon (894–896), in: Voenno-istoričeski sbornik, 40. 6 (1971), S. 20–33.; DERS., Tzar Simeon Veliki (893–927): Zlatnijat vek na srednovekovna Bălgarija, Sofia 1983, S. 87. ff.

4

SCHÜLZE-DÖRRLAM, Untersuchungen zur Herkunft der Ungarn und zum Beginn ihrer Landnahme im Karpatenbecken, in: Jahrbuch des römisch-germanischen Zentralmuseums. Mainz, 35/2 (1988), S. 375. ff., 439. ff.

5

G. OSTROGORSKY, Geschichte des byzantinischen Staates. München 19633, S. 212–213.

6

Thietmarus Merseburgiensis episcopi chronicon. Rec. Fridericus KURZE, Hannoverae 1889 (MGH, SS. III.), p. 753.; Annales Hildesheimenses. – Ibid., p. 62; Lamberti Hersfeldensis opera. Ed. O. HOLDEREGGER, Hannoverae 1894 (MGH SRG [38]) – Ibid., p. 63.; Annales Altahenses maiores. HRSG. von Gieselbrecht, E. l. B. von Oefele, Hannoverae 18912 (MGH SRG IV.) – MGH, SS, XX, p. 787.; Vasil GJUZELEV–Petër PETROV, Christomatija po istorija na Bălgarija, 1 (VII–XII v.), Sofia 1978, S. 169.

7

I. BOŽILOV, Tzar Simeon Veliki (893–927) (wie oben Anm. 3.), S. 122 ff.; Chr. DIMITROV, Bălgaro-ungarski otnošenija (wie oben Anm. 1.), S. 60.

8

Chr. DIMITROV, Bălgaro-ungarski otnošenija (wie oben Anm. 1.), S. 72., 85., Anm. 8. wo die Quellen gezeigt sind.

 9

R. LÜTTICH, Die Ungarnzüge in Europa im X. Jahrhundert, Budapest 1910, S. 145. ff.

10

Chr. DIMITROV, Bălgaro-ungarski otnošenija (wie oben Anm. 1.), S. 75–77.

11

V. N. ZLATARSKI, Istorija na bălgarskata dărãava prez srednite vekove, I/2.,Sofia 1927, S. 570.

12

Ioannes SCYLITZES, Synopsis historiarum, recensuit I. THURN, Berolini et Novi Eboraci 1973, S. 276–277.; Ioannes ZONARAS, Epitome historiarum libri XIII–XVIII, Bonnae 1897, S. 512–513.

13

Povest’ vremennih let, in: Pamiatniki literaturi drevnej Rusi (XI–načalo XII veka). izd. L. A. DMITRIEVAäD. S. LIHAČEV, Moskva 1978, S. 40.

14

OSTROGORSKY, Geschichte des byzantinischen Staates (wie oben Anm. 5.), S. 244. ff.

15

Ioannes SCYLITZES, Synopsis historiarum (wie oben Anm. 12.), S. 350., 409. – Über die Datierung s. Chr. DIMITROV, Bălgaro-ungarski otnošenija (wie oben Anm. 1.), S. 90., No. 74., 80.